Trump demütigt Selenskyj und schadet Deutschland. Das Treffen im Oval Office ist eine Warnung für Europa. Jetzt müssen wir handeln.
Als Donald Trump im Oval Office sitzt, zu einer Seite den von drei Kriegsjahren gezeichneten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, unrasiert und in Militärkleidung, zur anderen Seite den herausgeputzten US-Vizepräsidenten JD Vance, wirkt Trump erst gelangweilt und dann genervt. Dann geht er auf Selenskyj los.
„Du riskierst den dritten Weltkrieg“, wirft Trump Selenskyj vor. „Du verhandelst nicht, weil du Putin hasst.“
Dass Trump wieder einmal lügt, ist an dieser Stelle ein Nebenaspekt. Natürlich riskierte Putin den dritten Weltkrieg, als er in die Ukraine einmarschierte. Natürlich riskiert Trump den dritten Weltkrieg, weil er Strukturen zerschlägt, die diesen Weltkrieg seit 1945 verhinderten. Aber das nur am Rande.
Viel wichtiger als der Faktencheck ist die Lustlosigkeit, mit der Trump Selenskyj empfängt. Sie zeigt, wie Trump denkt. Als Europäer müssen wir diese Ursachen dieser Lustlosigkeit verstehen. Die Fakten biegt sich der US-Präsident so, dass sie dazu passen.
Trumps Aufmerksamkeitssucht schafft politische Probleme
Wenige Tage vor dem Selenskyj-Eklat zeigt der britische Premierminister Keir Starmer, wie Staatschefs Trump Lust auf ein Gespräch machen. Vor den Fernsehkameras greif Starmer in seinen Maßanzug, zieht einen Brief von King Charles III. heraus und überreicht Trump eine unterschriebene Einladung zum Hofbesuch im Buckingham Palace. „Ein schöner Mann, ein wundervoller Mann“, sagte der Präsident daraufhin über den König. „Ich habe ihn schon sehr gut kennengelernt.“
Jedes Kind hätte Starmers Tricks durchschaut. Trump nicht. Weil er im Mittelpunkt stand, weil er mit seiner royalen Bekanntschaft angeben konnte, genoss er den Moment.
Manipulierbar wie ein Kind: Donald Trump.
Wer mit Trump verhandelt, muss sein Ego streicheln. Er muss ihm helfen, Aufmerksamkeit zu bekommen. Tut er das, schenkt ihm Trump im Gegenzug viel, um noch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Tut er das nicht, hat Trump für ihn keine Verwendung.
Für Selenskyj hat Trump keine Verwendung. Der Ukrainer trägt seit Kriegsbeginn einfache Kleidung. Er spricht holpriges Englisch. Er widersetzt sich Trumps Vorstellungen eines Kriegsendes, das dieser eigentlich für 24 Stunden nach seinem Amtsantritt versprochen hatte, aber immer noch nicht geliefert hat. Selenskyj lässt mit Trump einen Menschen schlecht aussehen, der andere nur als Werkzeuge nutzt, um gut auszusehen.
Deswegen langweilte sich Trump erst mit Selenskyj. Deswegen ging er ihn später an. Deswegen nutzte JD Vance die Chance, sich mit der Demütigung des Ukrainers Pluspunkte bei Trump zu erschleichen.
Trump liebt den russischen Präsidenten Wladimir Putin, weil dieser als Präsident Milliarden veruntreut hat. Putin lebt in Villen. Putin ist vielleicht der reichste Mensch der Welt. So will Trump sein. Also teilt der bestenfalls mittelmäßige Geschäftsmann sich mit dem russischen Diktator Europa auf und hofft, dabei genauso protzig zu leben.
Trump belohnt Unterwerfung – und bestraft Widerstand
Ob Trump die Attacke auf Selenskyj geplant hat oder nicht, spielt keine Rolle. Ich glaube nicht, dass er so weit denkt. Wichtig ist aber: Unter gleichen Vorzeichen verlaufen die meisten Gespräche mit Trump ähnlich. Wer ihm eine Bühne bietet, bekommt, was er will. Wer das nicht tut, prallt ab.
In einer funktionierenden Demokratie bringen es Menschen wie Trump nicht einmal zum Bürgermeister. In den USA hat es Trump zum Präsidenten gebracht, weil jahrzehntelange Propaganda in Nachrichtenfernsehen und Sozialen Medien die Demokratie zersetzt haben. Dieser Schaden und Trumps Kampf gegen die Justiz machen es wahrscheinlich, dass in den USA noch lange Leute wie Donald Trump und JD Vance regieren.
Kein Freund logischer Folgerichtigkeit: Donald Trump.
Die Krise der Demokratie im Inneren zerfrisst auch die Außenpolitik. Für uns in Europa bedeutet das zwei Dinge: Einerseits zerfressen auch bei uns Politiker vom Schlage Donald Trumps unsere Demokratie. Wollen wir eine Außenpolitik, die Sicherheit schafft, statt Diktatoren Freiräume zu schenken, müssen wir unsere Demokratie stärken. Behandeln wir AfD und BSW, wie die Amerikaner Donald Trump hätten behandeln sollen: Wählen wir sie aus allen Parlamenten.
Andererseits brauchen wir besonnene Politiker, um gut mit Trump umzugehen. Denn Europa entscheidet künftig, ob wir in Frieden leben.
Europa muss Trump manipulieren. Sonst macht es jemand anderes
Zum Ende des Gesprächs mit Selenskyj sagt Trump, das sei „gutes Fernsehen“ gewesen. Der Satz dürfte vor allem für Zuschauer im Kreml gelten. So zynisch ein US-Präsident ist, der lieber gutes Fernsehen als gute Politik macht: Europas Aufgabe während der Amtszeit Trumps lautet, dafür zu sorgen, dass er mit guter Politik gutes Fernsehen macht. Wir müssen den Weltfrieden mit Trumps Aufmerksamkeitssucht verbinden wie Eltern den Familienfrieden mit der Aufmerksamkeitssucht eines Kleinkindes.
Natürlich können wir Selenskyj vorwerfen, an dieser Aufgabe gescheitert zu sein. Er hätte Trump mehr schmeicheln können:
- Anzug tragen, auch wenn das im kriegsgeplagten Heimatland einige verstört.
- Lächeln, wenn Trump lügt, statt ihn anzugehen.
- Übersetzer mitnehmen, weil der das Gespräch verlangsamt und Selenskyj die Chance auf überlegtere, nuanciertere Antworten in Ukrainisch einräumt.
Aus dieser Sicht hätte Selenskyj vieles besser machen können. Doch es gibt auch eine andere Sicht.
Ein Ahnungsloser sucht Aufmerksamkeit: Präsident Donald Trump.
Der Eklat im Oval Office war schockierend, aber nicht kriegsentscheidend
Einerseits ist trotz des Debakels noch längst nicht alles verloren. Der ehemalige US-Präsident John F. Kennedy ertrug mehrere Demütigungen des russischen Regenten Nikita Chruschtschow, bevor er dank der daraus gezogenen Lektionen im Jahr 1962 bei der Kubakrise den dritten Weltkrieg verhinderte. Auch heute bleibt vor allem die Frage, was Europa aus dem Debakel lernt.
Ohnehin mochte Trump Selenskyj schon lange vor dem Eklat im Oval Office nicht: Der US-Präsident erpresste Selenskyj im Jahr 2019, als der Ukraine-Krieg noch als lokal begrenzter Konflikt schwelte. Liefere Selenskyj ihm keine dreckigen Nachrichten über den Sohn seines späteren Gegenkandidaten Joe Biden, verweigere er ihm die Unterstützung, sagte Trump. Selenskyj lehnte ab. Die Demokraten unterzogen Trump nach Bekanntwerden des Gesprächs sogar einem Amtsenthebungsverfahren. Demütigung statt Aufmerksamkeit also.
Mochte Selenskyj noch nie: Donald Trump.
Derartiges vergisst Trump nicht. Erst recht, weil sich Selenskyj ihm nie öffentlich unterwarf. Der Eklat im Oval Office veränderte also weniger, als viele meinen.
Andererseits machte Selenskyj, der im Umgang mit Putin Schlimmes gewohnt ist, womöglich einiges richtig, indem er Trump widersprach, als dieser russische Propaganda nacherzählte.
- Sehr wahrscheinlich bekommt Trump keinen schnellen Deal in der Ukraine.
- Sehr wahrscheinlich kann die Ukraine mit ihrer Munition noch Monate, womöglich ein Jahr weiterkämpfen. Dann verliert sie.
- Will Trump die Anerkennung, in der Ukraine Frieden geschaffen zu haben, muss er mehr tun als Selenskyj vor laufenden Kameras angiften. Er muss Gipfel einberufen, vermitteln. Innerhalb eines Jahres. Oder er liefert Munition.
Aus dieser Sicht hat Selenskyj seine ohnehin schwache Position gegenüber Trump gut genutzt: Er hat ihm klar gemacht, dass er für Anerkennung auch mit ihm verhandeln muss.
Welche Sicht am Ende eintritt, entscheidet nun vor allem Europa.
Europa muss Trump zum Dialog mit Selenskyj überlisten
Europa muss Trump zwingen, mit Selenskjy zu reden und nicht nur mit Putin. Das kann Europa auch: Trump will normale wirtschaftliche Beziehungen zu Russland. Dazu müssten alle Strafzöllen und Auflagen fallen. Viele von ihnen stammen von der EU.
Trump will also etwas von Europa. Diese Position kann die EU nutzen oder herschenken. Schenken wir sie her – schwenken wir schlimmstenfalls von unseren eigenen Populisten getrieben auf einen prorussischen Kurs -, steht es schlecht für die Ukraine und bald auch für uns. Stärken wir die Ukraine und machen Trump klar, dass er mit Selenskyj umgehen muss, kann sich der Skandal aus dem Oval Office doch noch zum Guten wenden.
Wichtig sind vor allem drei Dinge:
- Realität eingestehen: Der Wahnsinn im Weißen Haus begleitet uns auf absehbare Zeit. Eine Folge: Putin könnte die baltischen Staaten wohl angreifen, ohne dass die USA eingreifen. Die europäische Sicherheitsordnung steht auf der Kippe. Deshalb wird ein dritter Weltkrieg wahrscheinlicher. Nicht wegen Selenskyj. Tun wir etwas dagegen.
- Klare Sicherheitsgarantien für die Ukraine fordern: Beim Ziel, neue Sicherheiten zu schaffen, passt gar nicht, dass unter Trump ein NATO-Beitritt der Ukraine noch unrealistischer scheint als unter seinem Vorgänger Joe Biden. Weil in Europa viele Menschen aber noch auf diese Ideallösung hoffen, spricht niemand realistischere Forderungen an. Es fehlt eine klare Position. Was wollen wir? Waffenlieferungen? Die Erlaubnis, US-Raketen kaufen und an die Ukraine weitergeben zu dürfen? Die EU muss klare, realistische Alternativen in eine Sprache verpacken, die Trump versteht. Nur dann können wir sie durchsetzen.
- Europa muss aufrüsten: Ohne eigene militärische Stärke bleibt unser Kontinent erpressbar. Wir brauchen dringend eine Abschreckung, mit der uns auch Verrückte ernst nehmen.
Wie wir Populismus erkennen und aus der Politik verbannen, erfahren Sie in meinem Buch „Es gewinnen alle oder keiner“.

Artikelbild: Trump und Selenskyj bei ihrem Treffen im Oval Office des Weißen Hauses. By The Trump White House – File:President Trump and Ukrainian President Zelenskyy in Oval Office, Feb. 28, 2025 (1080p 30fps H264-128kbit AAC).webm (25m11s), Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=160952385