Die AfD sagt, Migranten seien krimineller als Deutsche. Das ist gelogen. Die AfD erfindet eine Bedrohung, damit sie sich als Retter verkaufen kann – eine typische Propaganda-Strategie.
Glaubt man der AfD, steht Deutschland vor einer düsteren Zukunft. „Die Gewalt von Migranten gegen uns nimmt zu“, verkündet die Partei. Es gebe eine Messerepidemie, Eltern können ihre Kinder kaum noch sicher ins Freibad lassen. Schon in 20 Jahren, werde es große gesetzlose Gebiete geben, die Deutsche nicht mehr betreten dürfen. Einzige Rettung: die AfD. Nur sie könne die Katastrophe verhindern und die gesetzlosen Eindringlinge endlich rauswerfen aus Deutschland – so die Botschaft.
Das Schreckensszenario der AfD ist erfunden (siehe unten). Aber es hat Methode. Es folgt dem Grund-Muster der Propaganda. Das funktioniert in drei Schritten:
- Erfinde eine Bedrohung.
- Positioniere dich als Verteidigung gegen diese Bedrohung.
- Beschuldige jeden, der die erfundene Bedrohung als erfunden bezeichnet, als Volksfeind.
Mit diesen drei Schritten reden Propagandisten ihren Anhängern ein, die einzige Rettung vor einem Schreckensszenario zu sein – und schaffen so fanatische Unterstützer. Erfunden hat die AfD die Methode nicht: Die DDR hatte den Westen, die Nazis die Juden. Die AfD hat Multikulti, Merkel, Migranten. Das Schema ist immer das gleiche.
Hier geht es zu den anderen Teilen der Serie:
Wie die AfD lügt, Teil 1: Es geht um Liebe
Wie die AfD lügt, Teil 2: Propaganda wie vor 1945
Wie die AfD lügt, Teil 4: Beleidige jeden
Die Botschaft der AfD ist falsch
Das wichtigste zuerst: Stimmt, was die AfD erzählt? Die kurze Antwort: nein. Hier die ausführliche Version:
1. Migranten begehen nicht mehr Straftaten als Deutsche
Wenn die AfD behauptet, die Deutschen müssten sich vor Migranten fürchten, ist das falsch. 2017 begingen anerkannte Flüchtlinge nur 0,5 Prozent aller Straftaten in Deutschland – obwohl sie knapp 1,4 Prozent der Bevölkerung ausmachen [Quelle]. Und das, obwohl ein Großteil von ihnen jung, männlich und alleinstehenden ist. Diese Gruppe begeht weltweit deutlich mehr Verbrechen als andere.
Bei den nicht anerkannten Flüchtlingen ist es umgekehrt: Sie begingen im Durchschnitt mehr Straftaten als Deutsche. Den Unterschied erklärt wohl die unsichere Zukunftsperspektive nicht anerkannter Flüchtlinge: Arbeitsverbote, drohende Abschiebung, keine Wohnung. Das frustriert und führt zur Verzweiflungstaten.
Migranten sind also weder krimineller noch unschuldiger als Deutsche. Beide Gruppen unterliegen den gleichen Einflüssen. Verzweiflung und Frust lassen sie häufiger Straftaten begehen, Sicherheit und Zuversicht seltener. Das ist bei allen Menschen gleich, egal wo sie geboren wurden und woran sie glauben.
Wer Deutschland sicherer machen will, muss diese Faktoren minimieren. Wer Menschen wegen ihrer Herkunft und Hautfarbe ausgrenzt, frustriert sie eher und verschlimmert die Situation.
2. 2018 wurden in Deutschland deutlich weniger Straftaten begangen als 15 Jahre vorher
Grundsätzlich stimmt: Deutschland war noch nie so sicher wie heute. 1993, kurz nach der Wiedervereinigung, zählte die Kriminalitätsstatistik für Deutschland rund 6,8 Millionen Straftaten. Bis 2016 schwankte die Zahl. 2018 fiel sie auf 5,6 Millionen.
Das heißt: Im Jahr 2018, also nach dem großen Flüchtlingsstrom, wurden in Deutschland knapp ein Fünftel weniger Straftaten angezeigt als 1993. Weniger waren es seit der Wiedervereinigung nie.
Oben Panikmache, unten Wahrheit: Die Zahl der Straftaten in Deutschland schwankt, zeigt aber einen klaren Trend. 2018 lag sie so niedrig wie noch nie seit der Wiedervereinigung (unten). Der Angstmache der AfD fehlt jede Grundlage (oben).
Auch der Anstieg 2016 ist erklärbar: Er ist größtenteils Straftaten geschuldet, die durch die Migration selbst entstehen – zum Beispiel illegale Einreise. Rechnet man diese aus den Straftaten heraus, bleibt kaum ein Zuwachs übrig.
Alleine die illegale Einreise macht mehr als zwei Drittel des Anstiegs von 2014 bis 2016 aus – illegale Einreisen wuchsen um 199.000 Taten, die Gesamtverbrechen um 290.000. Eine Statistik der Polizei, die alle ausländerrechtlichen Verstöße herausrechnet und nur aufgeklärte Verbrechen einbezieht, kommt sogar auf einen Rückgang der Straftaten von 2014 bis 2016.
Auch die Zahl der aufgeklärten Straftaten ging zurück. Sie lag 2018 mit drei Millionen rund 12 Prozent unter dem Durchschnitt der 2000er-Jahre von 3,4 Millionen.
Viele Zahlen, die eines zeigen: Die Migration führte nicht zu mehr Verbrechen. Wenn die AfD behauptet, Migranten würden Deutschland unsicherer machen, ist das nachweislich falsch. Es gibt keinen Grund, sich vor ihnen zu fürchten.
3. Es gibt mehr Sexual-Straftaten – aber nicht wegen der Migranten
Bleiben die Sexualstraftaten. Die AfD weist ausführlichst auf jeden Vorfall hin, der mit Ausländern in Verbindung gebracht wird – inklusive Ausschmückungen und Übertreibungen. Dennoch stimmt es nicht, dass sich Frauen vor Migranten fürchten müssen.
Auch hier lautet die Antwort: nein. Die Zahl an Sexualstraftaten ist seit 2014 zwar deutlich angestiegen. Taten, die die Polizeistatistik unter „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ zusammenfast, wuchsen bis 2018 um rund 14.000 Fälle – ein Plus von rund 40 Prozent.
Migranten trifft daran ein kleiner Teil der Schuld. Sie verübten grob 6.000 von insgesamt über 51.000 Taten. Zu behaupten, Frauen müssten sich besonders vor ihnen sorgen, ist falsch.
Hinter dem Zuwachs stecken eher gesellschaftliche Faktoren, zum Beispiel die #metoo-Bewegung und die stärkere Akzeptanz von Frauen, die eine Anzeige aufgeben. Heute landen deswegen auch Straftaten bei der Polizei, die vor fünf oder zehn Jahren verschwiegen worden wären. Das treibt die Fallzahlen in die Höhe, macht Deutschland aber sicherer statt unsicherer: Die Opfer bekommen Hilfe.
3. Es gibt weniger Diebstähle und Fälschungen, etwa gleich viele Rohheitsdelikte und etwas mehr Morde
Bleiben wir bei Diebstählen und Fälschungen: Die AfD berichtet gerne von ausländischen Tätern dieser Kategorie. Dennoch müssen sich die Deutschen nicht um ihr Hab und Gut sorgen.
Verglichen mit 2014 gingen die Zahlen für Diebstähle (-14 Prozent) sowie Vermögens- und Fälschungsdelikte (-17 Prozent) zurück – auch bei Migranten.
Andere Verbrechen blieben in etwa konstant. Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit waren 2018 fast genauso häufig wie 2014. Straftaten gegen das Leben stiegen leicht an: 2018 wurden 247 Verbrechen diese Kategorie mehr begangen als 2014.
Um ihr Leben fürchten müssen die Deutschen deswegen nicht: Die Anzahl der Morde lag 2018 (386 Morde) rund 22 Prozent unter dem Wert von 2001 (497 Morde). In den 80ern wurden alleine in West-Deutschland pro Jahr noch deutlich mehr Morde begangen als heute in Gesamt-Deutschland. Wenn die AfD so tut, als sei früher alles besser gewesen, ist auch das falsch.
Quelle: Die Kriminalpolizei
Die AfD nutzt eine Propagandastrategie
Auch die AfD kennt die Zahlen des BKAs. Trotzdem stellt sie die Welt anders dar. Thomas Hestermann, Professor für Journalistik an der Hochschule Macromedia Hamburg, und Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig, haben 242 Stellungnahmen der AfD zu Straftaten in Deutschland untersucht. Ihr Ergebnis: Die AfD berichtet nur in einem von 40 Fällen (2,5 Prozent) von einer Tat mit einem Deutschen Tatverdächtigen – und das ausschließlich relativierend: Sie spricht „von einer aus dem Irak stammenden Person mit deutscher Staatangehörigkeit“ oder betont: „Von diesen 37 Tatverdächtigen hat lediglich einer die deutsche Staatsbürgerschaft.“
Anteil Deutscher unter den Tatverdächtigen laut BKA:
66 Prozent
Anteil Deutscher Tatverdächtiger in den Berichten der AfD:
2,5 Prozent
Hinter dieser Falschdarstellung steckt eine Strategie: Die AfD will sich als Retter vor eine großen Bedrohung darstellen. Also erfindet sie eine Bedrohung. Sie übertreibt Straftaten von Migranten, ignoriert Verbrechen von Deutschen und beschimpft alle, die die Dinge anders sehen. Sie will, dass die Menschen bei Migranten automatisch an Straftäter denken und bei der AfD an den einzigen Retter.
Dafür setzt sie auf einen psychologischen Trick. Der funktioniert in zwei Schritten:
Typische Angstmache: Jeden Einzelfall verkauft die AfD als Bestätigung ihres Schreckensszenarios (oben). Dass dieses frei erfunden ist, zeigen bundesweite Statistiken (unten). Die Wahrheit ist: Noch nie gab es in Deutschland so wenige Verbrechen wie 2018. Wer sagt, „unsere Sicherheit stirbt jeden Tag ein Stück mehr“, der lügt.
Schritt 1: Die AfD will die Wahrheit falsch einrahmen
Die AfD verwendet einen psychologischen Effekt namens „Framing“ (engl. „rahmen“). Das heißt: Je nachdem, wie wir Menschen eine Entscheidung durch unsere Sprache einrahmen, leiten wir sie zu unterschiedlichen Entscheidungen. Die AfD will, dass sich die Menschen für die Furcht vor Ausländern entscheiden.
Zur Erklärung ein Beispiel aus der Medizin: Stellen Sie sich vor, dass sich die USA auf den Ausbruch einer ungewöhnlichen asiatischen Krankheit vorbereiten. Experten erwarten, dass 600 Menschen sterben werden. Mediziner haben zwei Programme zur Gegenwehr entwickelt:
- Mit Programm A werden 200 Menschen gerettet.
- Mit Programm B bestehen eine Ein-Drittel-Wahrscheinlichkeit, dass 600 Menschen gerettet werden, und eine Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit, dass niemand gerettet wird.
Welches Programm würden Sie wählen? Merken Sie sich Ihre Entscheidung.
Um zu zeigen, wie mächtig das Rahmen ist, nehmen wir nun ein zweites Beispiel. Wieder bereiten sich die USA auf eine Krankheit vor. Wieder gibt es zwei Programme:
- Mit Programm C werden 400 Leute sterben.
- Mit Programm D bestehen eine Ein-Drittel-Wahrscheinlichkeit, dass niemand sterben wird und eine Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit, dass 600 Leute sterben werden.
Welches Programm würden Sie jetzt wählen? Merken Sie sich erneut ihre Antwort.
Faktisch sind beide Beispiele gleich. Mit dem ersten Programm werden in beiden Fällen 200 Menschen gerettet und 400 sterben, mit dem zweiten gibt es identische Wahrscheinlichkeiten alle oder keinen zu retten.
Die Beispiele unterscheiden sich lediglich durch die Formulierung. Im ersten Fall liegt das Augenmerk, auf den Menschen, die gerettet werden – also dem möglichen Gewinn. Im zweiten geht es um die, die sterben – also den möglichen Verlust.
Diese kleine Änderung führte in Studien zu deutlich unterschiedlichen Entscheidungen.
- Im ersten Beispiel wählten die meisten Menschen das risikoscheue Programm A.
- Im zweiten Beispiel wählten die meisten Menschen das risikoreiche Programm D.
Offenbar wollten die Teilnehmer lieber 200 Menschen retten als 400 Menschen zum Tode verurteilen. Je nachdem welchen Teil der Wahrheit ihnen die Frage anbot, verhielt sich die Mehrheit anders.
Das zeigt: Die Sprache spielt bei Entscheidungen eine wichtige Rolle. Geschickte Formulierungen können Menschen zu unterschiedlichen Entscheidungen leiten.
Schritt 2: Die AfD versucht die Welt so zu rahmen, dass nur sie die Antwort hat
Die AfD nutzt die Extremform der Rahmen-Methode. Sie stellt nur die negativen Folgen der Migration dar und übertreibt diese. Dann fragt sie: „Wie willst du, dass mit Migranten umgegangen wird?“
Durch die Vorarbeit hat sie den Rahmen für die Frage derart verzerrt, dass manche Menschen Dinge sagen wie: „Wenn da nur einer dabei ist, der eine Straftat begeht, wäre es besser, man hätte keinen ins Land gelassen.“
Besser keinen ins Land lassen? Die AfD lenkt so viel wie möglich Aufmerksamkeit auf Verbrechen von Ausländern (oben). Sie will den Eindruck erwecken, als nehme die Kriminalität zu, als würden diese vor allem von Migranten begangen und als könne nur sie das Problem lösen. Bundesweite Mord-Statistiken zeigen aber: Die Zahl der Morde ist rückläufig (unten). In den 80er-Jahren wurden alleine in Westdeutschland deutlich mehr Menschen pro Jahr umgebracht als heute in Gesamtdeutschland. Wer in Deutschland lebt, muss sich um seine Sicherheit keine Gedanken machen.
Quelle: Bundeskriminalamt.
Wer einmal so denkt, muss AfD wählen. Denn „einer“ ist immer dabei. Unter jeder beliebigen größeren Gruppe der Welt ist jemand, der in seinem Leben noch ein Verbrechen begehen wird – sogar ein Mörder. Auch unter den jährlich etwa 800.000 Geburten in Deutschland sind statistisch gesehen über 100 spätere Mörder. Zu behaupten, es sei besser, alle Migranten abzuschieben, als nur einen Verbrecher ins Land zu lassen, ist, wie zu behaupten, es sei besser alle Babys abzutreiben als nur einen Verbrecher ins Land zu lassen.
Genau diese Denkweise will die AfD aber erreichen. Denn die anderen Parteien wissen, wie unsinnig sie ist. Also ist die AfD die einzige Partei, die eine Meinung vertritt, die zu dem von ihr erzeugten Weltbild passt. Wenn sie es schafft, genügend Menschen das Bild von Migranten als Verbrecher zu rahmen, hat sie ihre Unterstützung sicher. Sie schafft ein unumstößliches Alleinstellungsmerkmal.
Der Blick aufs Ganze hilft, nicht auf Schreckensszenarien reinzufallen
Wer verhindern will, selbst auf Propaganda reinzufallen, sollte die Rahmen-Methode kennen. Das Grundziel jeder Propaganda besteht darin, die Welt falsch einzurahmen. So haben es die Nazis mit den Juden gemacht und die DDR mit dem Westen – und so machen es nach wie vor allerhand Propagandisten, nicht nur die AfD.
Wer nicht selbst auf Rahmen-Techniken reinfallen will, sollte Einzelfälle ignorieren. Welche Bevölkerungsgruppe häufiger Straftaten begeht, verraten nur bundesweite Statistiken. Propagandisten wollen durch den ständigen Fokus auf Einzelfälle die Wahrheit falsch einrahmen. Wer sich nicht durch Einzelfälle beeinflussen lässt, bildet eine Grundresistenz gegen Propaganda.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Flugangst. Flugzeugunfälle bleiben uns wegen der vielen Opfer und der dramatischen Abläufe eher in Erinnerung als Autounfälle. Das rahmt manchen Menschen uns die Welt falsch ein: Sie überschätzen die Wahrscheinlichkeit, mit dem Flugzeug abzustürzen. Also fahren sie lieber mit dem Auto in den Urlaub – und erhöhen dadurch ihr Risiko auf dem Weg zu sterben. Wer alle Ausländer für kriminell hält, macht einen ähnlichen Fehler.
Fazit
- Propagandisten wollen den Menschen die Welt falsch einrahmen, indem sie ständig Einzelfälle wiederholen.
- Propagandisten erfinden ein Feindbild, vor dem angeblich nur sie die Menschen schützen können. Wer ihnen glaubt, muss ihnen folgen – so schaffen sie ein Alleinstellungsmerkmal und fanatische Anhänger.
- Die AfD wendet diese Technik unter anderem auf Migranten an. Diese sind aber weder krimineller noch unschuldiger als Deutsche. Die Faktoren, die Menschen zur Gesetzestreue oder Kriminalität treiben, sind weltweit gleich.
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