Die Verbindungen zwischen Russland und Donald Trump machen ausgerechnet ultra-konservative Wähler die wenigsten Sorgen, zeigen Umfragen. Es ist nicht lange her, da ging die gleiche Gruppe auf jeden los, der im Verdacht stand, mit Russland zu kooperieren. Jetzt unterstützt sie aus vollem Herzen einen Präsidenten, der den russischen Staatschef Vladimir Putin aufs Höchste preist und wahrscheinlich während der Wahl russische Unterstützung erhielt. Selbst wenn hochrangige Mitglieder der Trump-Administration über ihre Kontakte zu Russland lügen, verunsichert das ultra-konservative Wähler nicht im Geringsten.
Nicht nur Politikwissenschaftler würden erwarten, dass ultra-konservative Wähler entsetzt über einen Politiker mit Verbindungen zu Russland reagieren – über einen Präsidenten erst recht. Wenn linke Gruppen bereit wären, russische Einflüsse zu akzeptieren, könnte man argumentieren, dass diese Gruppen ein besseres Bild des ehemaligen kommunistischen Staates haben. Die Verbindung zwischen Erzkonservativen und russischer Akzeptanz scheint hingegen mysteriös. Wo bleibt die Wut? Was überschreibt die jahrzehntelange Abneigung gegen Russland? Das kann man erklären.
Warum ignorieren gerade erzkonservative Wähler Trumps russische Einflüsse?
Fragt man Trump-Unterstützer nach seinen Verbindungen zu Russland, antworten diese mit einer Mischung aus zwei Antworten:
- Russland ist keine Bedrohung für die USA; das Problem ist auf Europa begrenzt.
- Donald Trump will amerikanische Interessen an die erste Stelle setzen und ist deswegen das Schlimmste, was Russland hätte passieren können. Vladimir Putin hatte nicht das geringste Interesse, Trump zu unterstützen.
Um den Gedankengang ultra-konservativer Wähler zu verstehen, müssen wir uns diese Behauptungen genauer ansehen.
Ist Russland eine Bedrohung für die USA?
Wer denkt, die russischen Interessen seien auf Europa begrenzt, begeht einen Fehler. Konflikte wie in der Ukraine sind Symptome eines tieferen, systematischen Problems, dass die ganze Welt betrifft, einschließlich den USA.
Die Stützen des Friedens zwischen Russland und dem Westen sind brüchig geworden. Russland ignoriert viele der Mechanismen, die von der OSZE etabliert wurden, unter anderem die Unantastbarkeit der Souveränität anderer Staaten oder militärische Vereinbarungen, wie das Berichten von Truppenbewegungen. Stattdessen reden russische Politiker oft über Einflusssphären, in denen Sie die Politik anderer Staaten beeinflussen können und wollen. Das Militär zerlegt große Truppenbewegungen in viele kleine, die unterhalb der mit der NATO vereinbarten Berichtsgrenze liegen. Im Ergebnis bewegt Russland große Truppen an den Grenzen zu Staaten, deren Politik es beeinflussen will. Dieses Szenario ist leider typisch für die Veränderungen in der russischen Politik.
Außerdem versucht Russland routinemäßig, die Außenpolitik anderer Staaten zu beeinflussen. Mit einem ausgeprägten System elektronischer Kriegsführung überflutet Russland kritische westliche Journalisten mit Kommentaren und Mails, um sie zu verunsichern und einzuschüchtern. Auch die für Trump perfekt getimten Veröffentlichungen von Hillary Clintons E-Mails waren sehr wahrscheinlich Teil dieser Bemühungen.
Schließlich propagiert Russland zunehmend Hass gegen den Westen. Die Staatsmedien sehen ihr Land als den Verteidiger von Ehrlichkeit, konservativer Werte und allem Guten gegen den moralisch korrupten Westen.
Es scheint zwei Hauptgründe für diese Politik zu geben:
- Putin glaubt, Russland sei der Schutzpatron aller Russisch sprechenden Menschen. Aus der Sicht Putins war der Kollaps der Sowjetunion die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Er scheint ehrlich überzeugt zu sein, dass Russland das Gute gegen den dekadenten Westen verteidigen muss. Da Russland derzeit dafür zu klein ist, muss es seinen Einfluss erweitern.
- Putin will von innenpolitischen Problemen ablenken. Die russische Wirtschaft schrumpft, die Inflation frisst mit rund 10 Prozent pro Jahr das Vermögen der Menschen, die Lebenserwartung liegt bei nur 71 Jahren und die Lebensqualität sinkt ständig. Um in dieser Situation Aufstände zu verhindern, muss Putin von diesen Problemen ablenken. Das tut er, indem er auf angeblich große Ziele in der Außenpolitik verweist.
Der erste dieser Punkte findet sich bei vielen Politikern. Genau wie wir alle glauben, dass wir mehr Anerkennung in der Arbeit und unserer Beziehung verdienen, glauben auch Staatslenker, dass sie mehr Einfluss verdienen. Solange diese Tendenzen von moralischen und politisch-realistischen Einsichten begrenzt werden, sind sie nicht schlimm. Leider hebelt Putins Angst vor einer Revolution diese Grenzen aus.
Jede Gesellschaft verändert sich. Staaten müssen sich diesen Veränderungen anpassen, um konstruktiv zu sein. Politische Ziele wandeln sich ständig, neue Strukturen entstehen und alte vergehen. In Staaten, denen diese Anpassungsfähigkeit fehlt, häufen sich die Probleme an und führen irgendwann zu einer Revolution. Diese Dynamik hat schon die Sowjetunion und andere Ostblockstaaten zerstört, und Putin weiß das.
Derzeit vernachlässigt Russland das Minimum an Reformen, das langfristig Aufstände vermeiden könnte. Putin gibt viel Geld für das Militär aus, besonders für Nuklearwaffen, aber er zeigt kaum Interesse, in die Wirtschaft zu investieren. Russland ist weiter vom Rohstoffexport abhängig, weshalb die niedrigen Preise für Öl und Gas ein großes Problem darstellen.
Putin nutzt den Konflikt mit dem Westen, um von dieser Situation abzulenken. Er impliziert, dass der Westen schuld an den russischen Problemen ist, und dass Russland seine starke Führung braucht, um sie zu lösen.
Deshalb ist Russland auch eine Bedrohung für die USA. Wenn Putin gegen den Westen hetzt, sind die USA das Hauptziel. Früher oder später muss diese Rhetorik auch zu Handlungen führen. Sobald es Putins Zielen dient, wird er auch Konflikten mit den USA nicht aus dem Weg gehen – er kann gar nicht anders.
Außerdem ist der American Way of Life der Hauptrivale zu den Werten, die die russische Propaganda verbreitet. Wenn Putin diesen Rivalen destabilisiert, reduziert er das Bedürfnis der eigenen Bevölkerung, im Sinne westlicher Werte aufzubegehren. Deswegen schalten sich Putins Hacker gerne auf Seiten destruktive Parteien in den westlichen Wahlkampf ein.
Bringt Donald Trump Vorteile oder Nachteile für Vladimir Putin?
Durch die wacklige Basis für Frieden und Verständnis zwischen NATO und Russland ist Präsident Trump mit seinem Versprechen, Amerika an die erste Stelle zu setzen, ein Vorteil für Putin.
Die Sicherheit der osteuropäischen Staaten und der Frieden in Europa und der Welt hängen von der NATO ab. So lange es nicht den geringsten Zweifel gibt, dass ein Angriff auf ein NATO-Mitglied eine vollständige Reaktion des gesamten Bündnisses zur Folge hat, muss Russland die Eigenständigkeit aller Staaten akzeptieren. Das ist eine unattraktive, aber effektive Basis für den Frieden.
Als Trump öffentlich infrage stellte, ob er seinen Verbündeten bei einem Angriff helfen würde, wenn diese die 2-Prozent-BIP-Grenze für Militärausgaben verfehlten, hat er diese Basis geschwächt – und damit Amerikas Fähigkeit, effektive Bündnisse einzugehen. Deshalb können sich die Verbündeten nun auch nicht mehr auf das amerikanische Bekenntnis zu ihnen verlassen.
Trumps Äußerungen sind kurzsichtig. Der amerikanische Verteidigungsetat beträgt mit 523.9 Milliarden Dollar in 2017 deutlich mehr als das BIP der meisten osteuropäischen Staaten. Ob Polen (BIP: 467,5 Milliarden Dollar), Bulgarien (BIP: 52,4 Milliarden Dollar), oder die Tschechische Republik (BIP: 193 Milliarden Dollar) die beabsichtigten 2 Prozent Ihres BIP für ihr Militär ausgeben, ist zwar ein wichtiger Punkt – aber für die USA macht es praktisch keinen Unterschied.
Würde beispielsweise Bulgarien seine Militärausgaben um 1 Prozent seines BIP erhöhen, entspräche das lediglich 0,1 Prozent des US-Verteidigungshaushaltes und 0,0028 Prozenten des amerikanischen BIP. Selbst wenn alle NATO-Mitglieder ihre Verteidigungshaushalte verdoppeln, könnten die USA ihre Militärausgaben nicht um mehr als 1 oder 2 Prozent senken.
Ein Präsident, der die amerikanischen Interessen an die erste Stelle setzen will, sollte sich viel eher darauf konzentrieren, die Welt zu stabilisieren. Konflikte wie die in Afghanistan (Kosten von 2001 bis 2011: 469 Milliarden Dollar, neun Mal das BIP Bulgariens) oder im Irak (Kosten insgesamt 1,7 Billionen, mehr als 30 Mal das BIP Bulgariens) verschlingen ungleich mehr als sich an den NATO Mitgliedern einsparen ließe. Es lohnt sich nicht, wegen derartiger Banalitäten, die Sicherheit der Welt zu riskieren.
Mit irrationalen Kommentaren über die NATO destabilisiert Trump die Welt. Für Putin ist diese Instabilität wertvoll. Um seinen eigenen Einfluss auszuweiten, muss er zunächst die amerikanische Fähigkeit untergraben, die Welt zu führen. Ausgehend von Trumps Äußerungen während des Wahlkampfes und in den Jahrzehnten vorher, muss Putin klar gewesen sein, dass er dieses Ziel mit einem Präsident Trump leichter erreichen kann als mit einer Präsidentin Clinton.
Warum stimmten gerade ultra-konservative Wähler für einen Präsidenten mit Verbindungen zu Russland?
Bis hierhin sollte dieser Artikel wenig Neues geboten haben. Jeder Mensch mit Zugang zu Wikipedia kann Bulgarien mit den USA in Größe, Bevölkerung und Wirtschaftsmacht vergleichen, wobei er schnell verstehen wird, wie unwichtig die bulgarischen Militärausgaben aus Sicht von Wählern sind, die amerikanische Interessen an erster Stelle sehen wollen.
Politikwissenschaftler würden wegen derart unbedeutender Punkte nicht vermuten, dass sich diese Wähler hinreißen lassen, einen Präsidenten mit Verbindungen zu Russland zu wählen. Die interessanteste Frage an diesem Thema ist, warum sie es dennoch taten. Die Antwort dafür bietet der Self-Serving-Bias.
Der Self-Serving-Bias belastet uns alle. Wir verzerren die Realität in einer Weise, die uns besser aussehen lässt. Genau wie wir alle denken, dass wir bessere Mitarbeiter, Autofahrer und Partner sind als der Durchschnitt, glauben wir auch alle, dass sich die Politik mehr um uns kümmern sollte. Wir denken, wir würden unfair benachteiligt und jemand anderes bekäme, was uns zusteht.
Donald Trump spricht diese Gefühle an, indem er Sündenböcke für unsere enttäuschten Self-Serving-Biases bietet. Wähler, die mit der sich veränderten Welt überfordert sind, die hohen amerikanischen Militärausgaben kritisieren oder unzufrieden waren, wie manche anderen Staaten den amerikanischen Führungsanspruch kritisierten, konnten Trumps Kommentare zur NATO nutzen, um ihre Gefühle zu bestätigen. Alles war die Schuld der anderen NATO-Mitglieder.
Manche Menschen haben diese Argumentation akzeptiert, weil sie sich gut anfühlt. Sie haben sich nie gefragt, ob sich die Militärausgaben der anderen NATO-Mitglieder auf die USA auswirken, oder ob eine Schwächung der Allianz durch unüberlegte Kommentare der beste Weg ist, ihre Mitlieder zu mehr Investitionen zu bewegen.
Trumps Argumentation zeigt die typische Struktur destruktiver Ideen:
- Unterteilung der Welt in unversöhnliche Gruppen. Nach Trump haben die USA und der Rest der NATO grundsätzlich verschiedene Interessen. Die versuchen, uns auszunutzen, wir müssen uns dagegen wehren. Der Gewinn der einen Seite ist der Verlust der anderen; es ist unmöglich gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten, von dem beide Seiten profitieren.
- Erzwingen eines Binären Arguments. Die sind alle Ausnutzer; wir sind die einzigen, die ausgenutzt werden. Die derzeitige Situation hat nichts Gutes. Die gewinnen und wir verlieren, und das muss sich unbedingt ändern.
- Berufen auf eine höhere Wahrheit. Weil wir die Einzigen sind, die ihren fairen Anteil zahlen, dürfen wir denen die Unterstützung versagen. Deren Recht auf Sicherheit und Überleben hängt von unserem Wohlgefallen ab; alte Zusagen sind hinfällig, wenn wir sie nicht länger einhalten wollen.
Diese Argumentation schafft eine unendlich böse Bedrohung – die NATO-Mitglieder ruinieren die USA. Da alle anderen Politiker Trumps Position ablehnten, schien er der Einzige, der die USA vor dieser Bedrohung beschützen konnte – er wurde der weiße Ritter, der in die Schlacht zog, um sie zu beschützen.
Der Kampf gegen die unendlich böse Bedrohung und für den weißen Ritter rechtfertigte alle Mittel, denn nichts hätte schlimmer sein können als ein Sieg der unendlich bösen Bedrohung. Eine Präsidentin Clinton hätte die unendlich böse Bedrohung nicht bekämpft, denn sie hielt sie für Unsinn. Damit hatte sie zwar Recht, aber das machte sie für die Wähler, die von der Bedrohung überzeugt waren, unwählbar. Sie mussten Trump wählen, auch wenn er die NATO schwächte und fragwürdige Kontakte zu Russland unterhielt.
Kognitive Dissonanz verleitete die Menschen, alles zu rechtfertigen, was Trump tat oder sagte. Für sie war die Idee, dass Trump Präsident werden und sie vor der unendlich bösen Bedrohung beschützen muss, die einzig relevante Überlegung. Dieser Gedankengang überschrieb sogar jahrzehntealte Ressentiments gegenüber Russland und Präsidenten mit Verbindungen zu Russland.
Wie können wir bessere Wahlentscheidungen treffen?
Die Art, wie Trump-Anhänger seine Kontakte nach Russland rechtfertigen, ist ein perfektes Beispiel dafür, wie uns destruktive Gedanken dazu verleiten können, Ideen und Bewegungen zu unterstützen, die das genaue Gegenteil von dem erzeugen, was wir eigentlich wollen. Ultra-konservative Wähler, die eigentlich sehr kritisch gegenüber Russland eingestellt sind, redeten auf einmal wohlwollend über einen russischen Staatschef, der die US-geführte Weltordnung zerstören wollte und wählten einen Präsidenten mit starken Kontakten zu Russland.
Natürlich darf man in einer Demokratie stimmen, für wen man will. Aber der Erfolg einer Demokratie hängt auch davon ab, ob Wähler tatsächlich die Kandidaten identifizieren können, die ihre Interessen am besten vertreten. Wahlentscheidungen sind wichtig und die Öffentlichkeit braucht dringend die richtigen Werkzeuge, um diese Entscheidungen in ihrem besten Interesse treffen zu können. Wenn uns eine Idee dazu verleiten kann, das genaue Gegenteil von dem zu unterstützen, was wir eigentlich wollen, erzeugen wir oft destruktive Ergebnisse und schaden der Gesellschaft, unserem Land und damit uns selbst.
Wenn wir die Struktur destruktiver politischer Ideen verstehen lernen, können wir sie erkennen und vermeiden. Selbst wenn uns das Ziel einer Idee gefällt, erkennen wir, dass wir dieses Ziel auf andere Weise besser erreichen können.
Im Falle der Militärausgaben der NATO-Mitglieder besteht für die USA der erste Schritt darin, die Bedeutungslosigkeit des Problems für die eigenen Interessen zu erkennen. Natürlich ist es wichtig, dass sich alle Mitglieder an die vereinbarte 2-Prozent-Marke halten, aber es macht keinen Sinn, deswegen radikal zu werden oder ganze Regionen zu destabilisieren. Die Nachteile derartiger Entwicklungen überwiegen die Vorteile bei Weitem. Für derartige Probleme bieten sich Lösungen auf ruhigen diplomatischen Wegen an.
Auf diese Weise verstehen wir, warum Donald Trump dem Ziel schadet, Amerika an die erste Stelle zu setzen. Für Wähler, denen dieses Ziel wichtig ist, ist das ein enormer Schritt zu einer besseren Wahlentscheidung.
Weder Clinton noch Bush oder Obama setzten je etwas anderes als die amerikanischen Interessen an die erste Stelle. Sie verstanden lediglich, dass sich amerikanische Interessen manchmal mit denen anderer Staaten decken; und dass gute Politik darin besteht, diese Situationen zu erkennen. Was gut für die osteuropäischen NATO-Mitglieder ist, nutzt auch den USA. Donald Trump scheint unfähig, diesen einfachen politischen Grundsatz zu verstehen.