Populisten versprechen, Wähler von den Zwängen politischer Korrektheit zu befreien. In Wahrheit wollen sie viel strengere Regeln einführen.
Politische Korrektheit macht etwas völlig Normales
Stellen Sie sich vor, wir beide sitzen in einem Raum und reden. Wir halten uns an Freundlichkeitsregeln: Keine Beleidigungen, einander zuhören, nachfragen, statt voreilig Schlüsse ziehen. Diese Regeln machen unser Gespräch zum Erfolg statt zur Schlägerei.
Nun stellen Sie sich vor, wir holen fünf weitere Leute zum Gespräch. Wir brauchen neue Freundlichkeitsregeln: „Nicht durcheinanderreden“ reicht nicht mehr. Jeder soll zu Wort kommen.
Holen wir 1000 weitere Leute zum Gespräch, kann nicht mehr jeder zu Wort kommen. Wir wählen also Vertreter, die für uns sprechen. Wieder brauchen wir neue Regeln: Niemand will die Vertreter abschätzig über Menschen wie ihn reden hören. Also bestehen wir auf einem Sprachstil, der uns einbezieht statt ausgrenzt.
Nichts anderes macht Politische Korrektheit. Sie überträgt Freundlichkeitsregeln vom Kleinen des persönlichen Gesprächs aufs Große der Gesellschaft. Populisten stört das.
Populisten fordern nur andere Regeln Politischer Korrektheit
Alte Regeln Politischer Korrektheit haben wir so verinnerlicht, dass wir sie uns nicht mehr bewusst machen. An neue Regeln müssen wir uns erst gewöhnen. Deswegen wirken sie einschränkender.
Populisten nutzen diesen Eindruck und versprechen, Sprachdebatten ein für alle Mal zu beenden. Lassen wir an dieser Stelle einmal außen vor, dass die gleichen Politiker ständig gegen Bezeichnungen klagen, die andere ihnen angedenken. Sie führen selbst Sprachdebatten. Derartige Sinnlosigkeiten gehören zum Populismus wie Wellen zum Meer.
Das wahre Problem reicht tiefer: Populisten wollen Menschen nicht von Sprachregeln befreien. Sie wollen ihnen andere Sprachregeln auferlegen. Dürfen wir hier geborene Menschen türkischer Eltern als Deutsche bezeichnen? Dürfen vermögende Menschen vermögende Menschen bleiben oder müssen wir sie als betrügerische Superreiche brandmarken?
Wer glaubt, Sahra Wagenknecht oder Björn Höcke retten ihn vor Sprachvorgaben, sollte das Regelwerk anschauen, das sie ihm als Ersatz aufzwingen. Es ist eine umfassendere, aufgeladenere Form Politischer Korrektheit.
Statt Freundlichkeitsregeln übertragen sie Hass und Ausgrenzung vom Kleinen des persönlichen Gesprächs aufs Große der Gesellschaft. Sie übertragen Regeln, die ihnen dienen statt den Menschen.
Niemand befreit uns von Politischer Korrektheit
Weil wir gesellschaftlichen Freundlichkeitsregeln stetig an neue Veränderungen anpassen, werden wir immer über Politische Korrektheit diskutieren. Gewöhnen wir uns dran. Es ist nichts Besonderes.
Statt im Streben nach unerreichbaren Zielen wie dem Ende Politischer Korrektheit Probleme zu verursachen, schaffen wir hilfreichere Lösungen, indem wir unvermeidliche Sprachdebatten so freundlich und ruhig gestalten wie möglich. Nicht auf populistische Tricks hereinzufallen, ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg.
Wie Populismus uns schadet und wie wir ihn überwinden, erfahren Sie in meinem Buch „Es gewinnen alle oder keiner“.
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