Gute Politiker können kurzfristig Wahlen gewinnen und trotzdem langfristig Vertrauen aufbauen. Horst Seehofer und die CSU sind daran gescheitert. Jetzt ist klar, was passieren muss.
Das Problem der CSU kann an einem einfachen Beispiel erklärt werden: Als die deutsche Nationalmannschaft im letzten Gruppenspiel bei der WM in Russland kurz vor Schluss noch ein Tor brauchte, um das Ausscheiden zu verhindern, schaltete sich selbst Torhüter Neuer in den Sturm ein. Das ging zwar nach hinten los – die Südkoreaner schoben den Ball ins leere deutsche Tor – machte aber nichts: Deutschland war draußen, so oder so. Wer nichts zu verlieren hat, kann beim Fußball alles auf eine Karte setzen.
Diese Lektion ist nicht auf alle Lebenssituationen übertragbar. Wer kurz vor Ladenschluss noch eine Pizza für das Abendessen kaufen will, würde nie auf die Idee kommen, alles für die Pizza zu riskieren. Es gibt schließlich ein Morgen, und auch da kann man Pizza essen. Im Gegensatz zum Fußball kann man den Kampf um Pizza nie wirklich verlieren – es sei denn man stirbt. Es macht also keinen Sinn, den Tod für Pizza zu riskieren.
Von dieser Einsicht könnten die CSU und besonders ihr Parteivorsitzender Horst Seehofer einiges lernen. Sie verhalten sich politisch ähnlich unklug, wie jemand, der täglich sein Leben für Pizza riskiert.
Die Spieltheorie erklärt, warum. Sie kennt endliche Spiele und unendliche Spiele. Endliche Spiele haben klar definierte Regeln, Spieler und Zeiträume. Das Ziel ist, dass Spiel zu gewinnen. Schach, Fußball und Monopoly sind endliche Spiele.
Unendliche Spiele haben keine klaren Regeln und keine klar definierten Spieler. Sie können auch nicht gewonnen werden, denn sie sind ewig. Manchmal geben Spieler auf, aber dann steigen neue Spieler ein. Die Wirtschaft ist ein unendliches Spiel. Es kommen täglich neue Mitspieler an den Markt und man kann Gegenspieler nicht direkt besiegen, sie müssen aufgeben. Eine Marktposition ist nie sicher. Es ist unmöglich, die Wirtschaft ein für alle Mal zu gewinnen und es macht keinen Sinn, es zu versuchen. Wer es dennoch tut verschwendet seine Ressourcen. Er ruiniert sich selbst beim Versuch, einen Wettbewerber vom Markt zu drücken.
Auch die Politik ist ein unendliches Spiel. Man kann sie nicht dauerhaft gewinnen, es gibt kein Ende und Gegenspieler kommen und gehen. Wer alles auf eine Karte setzt, um die nächste Wahl zu gewinnen oder bei einem Thema zu punkten, zerstört seine langfristigen Ressourcen. In der Politik sind langfristige Ressourcen immaterielle Dinge wie Glaubwürdigkeit, Vertrauen und politische Durchsetzungsfähigkeit. Die hat die CSU verspielt. Gerade Seehofer konzentriert sich derart auf den nächsten kurzfristigen Erfolg, dass er die Basis des politischen Erfolgs zerstört.
Was machen Horst Seehofer und die CSU falsch?
Wahlkampfthemen vergehen schneller als Legislaturperioden. Wähler wissen das. Damit sie sicher sein können, dass eine Partei auch die Probleme, die sich in einigen Jahren ergeben, gut löst, wollen sie ihr langfristig vertrauen können. Dafür braucht eine Partei einerseits ein solides Wertekorsett, aus dem Wähler ableiten können, wie sie sich zukünftig positioniert. Andererseits wollen Wähler Parteien, die ihre Anliegen politisch klug umsetzen. Für manche bedeutet das Kompromissbereitschaft, für andere Protest – aber es muss zur Partei passen. Sind beide Werte ausreichend ausgeprägt, vertrauen Wähler einer Partei, ihre Stimme über eine gesamte Legislaturperiode sinnvoll zu nutzen.
Beispiel Grüne: Wer Grün wählt, ist sich sicher, dass seine Stimme auch noch gegen Ende der nächsten Legislaturperiode für den Umweltschutz eingesetzt wird – zwar mit Kompromissen, aber hart in der Sache. Das mögen viele Wähler, also sind die Grünen im Aufwind.
Auch die Wähler der Linken und der AfD vertrauen ihren Parteien, standfest gegen „die da oben“ zu sein. Das ist es, was sie wollen, also gewinnen beide Parteien. Interessanterweise erklärt das auch, warum die Linke so viele Wähler an die AfD verliert, obwohl beide Parteien fast gegensätzliche Ziele haben. Das gemeinsame Feindbild reicht. Gute Politik ist das nicht, aber es funktioniert derzeit für beide Parteien.
Schließlich ist da noch die FDP. Auch die tritt seit Jahrzehnten für die gleichen Werte ein. Weil sie die aber zu verkopft formuliert und sich politisch manchmal dilettantisch anstellt, schafft sie es nicht, sich zum Hoffnungsträger aufzuschwingen.
Die CSU verspielt ihr Vertrauen derzeit völlig. Seehofers Kamikaze-Kurs macht es fast unmöglich, vorherzusagen, wofür bzw. wogegen die Partei langfristig stehen wird. Seine Alleingänge beim Thema Migration und Asylpolitik sowie die versuchte Beförderung Maaßens ernteten vor allem Kopfschütteln. Es fehlt eine klare, wertebasierte Linie. Weil er auch noch erfolglos bleibt, schwindet der Glauben an die politische Durchsetzungsfähigkeit der Christsozialen. Beide Faktoren zusammen erklären die schwindende Popularität.
Die CSU scheint zu glauben, Werte wie Heimat und Tradition exklusiv zu besitzen und alleine dadurch Wähler langfristig binden zu können. Das mag jahrzehntelang so gewesen sein, ändert sich aber durch Globalisierung, Verstädterung und billige Reisemöglichkeiten. Jugend und Stadtbevölkerung verstehen ihre Heimat eher als Deutschland oder Europa denn als Bayern. Ihren Werten und Erwartungen an politisches Verhalten wird die CSU nicht mehr gerecht.
Seehofers Ziel war dabei völlig legitim: Er wollte die Landtagswahl in Bayern möglichst deutlich gewinnen. Das ist völlig in Ordnung, es ist seine Aufgabe als Parteipolitiker. Dennoch darf er sich deswegen nicht verhalten, wie jemand, der wegen einer Pizza sein Leben riskiert. Wollen er und die CSU langfristig weiter eine Volkspartei bleiben, muss ihnen klar sein, dass es auch eine nächste Wahl geben wird. Bei der können sie nur bestehen, wenn alle Bayern ihnen vertrauen können. Das erreichen andere CSU-Politiker derzeit besser als Seehofer. Entsprechend muss sich die Partei neu aufstellen, wenn sie langfristig Erfolg haben will.