Kulturpessimismus ist hip: Instagram und Youtube verblöden die Jugend, alles wird immer schlimmer. Das hört man überall. Unsinn ist es trotzdem.
Geht es um Influencer, bekommen Kulturpessimisten Schnappatmung. Alles Aufschneider, heißt es dann. Grinsende Blondchen und Schönlinge, die die Sozialen Medien mit schlecht getarnter Werbung zumüllen. Cathy Hummels und Pamela Reif? Braucht kein Mensch.
Das stimmt natürlich. Was nicht stimmt, sind die Weltuntergangsszenarien, die daran angeknüpft werden. Man müsse sich um die Jugend sorgen, behaupten Ganz-Besorgte. Denn die sei so blöd, sie merke nicht, wem sie da hinterherdackelt. Völlig unkritisch, diese Teenies. Die Finger förmlich ans Handy getackert, das Ende des Betts ist das Ende ihrer Welt. Was soll aus denen denn werden? Alles ganz gefährlich! Fürchtet euch!
So zu denken ist hip. Wer zwei 16-Jährige Wohlstandsgören sieht, wie sie bei Gucci 500 Euro für den neuesten Style-Tipp von Cathy-Hummels hinlegen, lästert reflexartig. Wer aber sagt, dass die beiden sicher eines Tages vollwertige Mitglieder der Gesellschaft werden, erntet hämische Blicke.
Dieser Kulturpessimismus ist Unsinn. Er ist die Arroganz derer, die mit der Welt nicht mehr klar kommen und sich einreden wollen, gerade deswegen etwas Besonderes zu sein. Nicht die Jugend, nicht Instagram oder Youtube gefährden unsere Zukunft. Sondern diese Affektiertheit.
Nicht die Sternstunde der Menschheit, aber auch nicht ihr Untergang: Werbe-Posts auf Instagram.
Influencer gab es schon immer
Denken wir doch mal 15, 20 Jahre zurück. Auch da gab es grinsenden Blondchen und Schönlinge. Nur turnten die nicht durch Instagram, sondern durch das Musikfernsehen. Auf Viva piepste eine gewisse Gülcan. Auf MTV umgarnte eine sogenannte Anastasia Boygroups. Auch die wurden alle für das bezahlt, was sie anhatten.
Und die Jugendlichen? Die saßen gebannt vorm Fernseher. Und wünschten sich, genauso auszusehen wie die Stars auf dem Bildschirm. Klar, sie konnten ihre Outfits noch nicht bequem per Link von Amazon ordern. Sie mussten erst die Star-Style-Tipps in der Bravo lesen und dann die Geschäfte abklappern. Aber das Prinzip war das gleiche.
Und dann erst der Vorwurf, die weltfremden Jugendlichen träumten nur noch vom einfachen Geld und wollten alle selbst Influencer werden. Sollen sie es doch versuchen. Bis auf drei oder vier werden alle scheitern. Und sich dann handfesten Karrieren zuwenden. So wie es die Menschen nach geplatzten Model-, Rockstar- und Fußballprofi-Träumen schon seit Jahrzehnten tun. Alles wie immer.
Die Jugend von heute und die Welt sind nicht schlechter. Der Unterschied zwischen damals und heute ist, dass wir von damals wissen, wie es ausging. Der Kiffer aus der 12c ist inzwischen ein respektierter Anwalt und die Dauer-Besoffene aus der 11a Polizistin. Alles gut, alles super witzig. Eine schöne Geschichte beim Klassentreffen.
Bei den Wohlstandsmädels, die sich Gucci-Täschchen einreden lassen, ist das nicht so. Also unterstellen ihnen Schwarzmaler das Schlimmste. Dabei werden auch die zwei irgendwann lernen, Schein und Sein zu unterscheiden. Wie alle Teenies vor ihnen.
Kulturpessimismus: Frühere Generationen waren auch nicht besser
Als jemand, der im Leben zwei, drei Jahrzehnte Vorsprung hat, auf die zu schimpfen, die noch am Anfang stehen, ist heuchlerisch. Jede Generation hatte unsinnige Träume. Jede Generation trieb die Eltern zu Verzweiflung. Auch die der heutigen Kulturpessimisten.
Jetzt könnte man sagen: Sollen sie doch machen. Sollen sie sich doch einreden, dass das Nachahmen von Stars und Träume vom schnellen Geld etwas Neues wären. Doch das Endzeit-Gerede hat Folgen. Wer einmal glaubt, dass sowieso alles immer schlimmer werde, verliert den Blick für die Welt. Auch über Instagram hinaus.
Ein Beispiel: Bei einer Umfrage des schwedischen Professors Hans Rosling schätzte über die Hälfte der Deutschen, der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen habe sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt. Dabei hat er sich deutlich mehr als halbiert. Die meisten Teilnehmer meinten auch, nur 20 Prozent der Weltbevölkerung hätten Zugang zu Elektrizität. Dabei sind es 80 Prozent.
Die richtige von drei Antworten fanden jeweils unter 10 Prozent. Selbst Affen, die zufällig entscheiden, wären besser. In einer Demokratie sind derart verzerrte Weltbilder ein Problem, weil aus ihnen Wahlentscheidungen werden.
Die Welt wird besser
Dabei gibt es massenhaft Grund zur Hoffnung. Das ganze Wissen der Menschheit ist heute nur eine Google-Suche entfernt. Klar, das nutzen manche, um Bilder von C-Promis beim Baden anzusehen. Andere aber schauen kostenlose Yale-Course oder folgen auf Youtube Astrophysikern.
Selbst wer hunderte Kilometer von der nächsten Bibliothek entfernt wohnt, kann alles lernen, was er will. Die Welt ist gerechter geworden und sie verliert nicht länger ihre besten Köpfe.
Deswegen wird die Jugend von heute Dinge tun, von denen Kulturpessimisten nur träumen können. Da sollen sie mal Schnappatmung bekommen.