Wer den Streit zwischen Trump und Selenskyj im Oval Office verstehen will, muss auf Trumps andere Inszenierungen blicken. Sie zeigen auch, was wir Populisten entgegensetzen können.
Als Donald Trump im Jahr 2020 vor der Kirche St. John’s in Washington D.C. eine Bibel in die Luft hält, geht das Bild um die Welt. Keine große Erklärung, nur die Aussagen, dass es „eine“ Bibel sei. Fertig ist das Meisterwerk populistischer Ästhetik. Kritiker beider Parteien empören sich, weil Trump für das Foto friedliche Black-Lives-Matter-Demonstranten mit Tränengas vertreiben ließ. Doch für seine Anhänger scheint die Botschaft klar: Trump steht für Stärke, Tradition und Widerstand.
In Wahrheit hat Trump die Bibel wohl nie gelesen. Das Recht, das er zu verteidigen vorgibt, biegt er zu seinem Vorteil. Als eitler Egomane, der über sexuellen Missbrauch prahlt, verstößt er gegen alle christlichen Werte. Doch Wahrheit interessiert Populisten wie ihn nicht. Sie leben von Bildern. Entscheidend ist, welche Emotionen etwas auslöst.

Gutes Bild ohne Inhalt: Donald Trump hält eine Bibel vor der St. John's Episcopal Church in Washington. Quelle: By The White House from Washington, DC - President Trump Visits St. John's Episcopal Church, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=90897698.
Das unterscheidet Populisten von sachlichen Politikern. Friedrich Merz (CDU) und Olaf Scholz (SPD), der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Keir Starmer suchen sachliche Lösungen für echte Probleme. Sie handeln danach, wie etwas ist. Trump handelt danach, wie etwas aussieht.
Populisten tun dies aus unterschiedlichen Gründen. Trump genießt die Aufmerksamkeit, die es ihm einbringt. Russlands Diktator Wladimir Putin betreibt so gezielt Propaganda. Die Folgen bleiben die gleichen: Richten wir Politik nach Gefühlen statt Fakten, übersehen wir Probleme und schaffen neue. Wir werden ärmer.
Populisten gewinnen, weil Bilder Worte schlagen – immer
In einer Welt Sozialer Medien entscheidet über Zustimmung nicht der beste Gedanke, sondern das beste Bild. Populisten wissen das. Sie vermeiden komplexe Erklärungen und setzen auf einfache Symbole:
- Trump und die Mauer: Ein Bild der Grenzmauer ist effektiver als jede Debatte über Einwanderung. Daher spricht Trump lange und oft über eine Mauer, die Migranten nicht abhält und die er am Ende nicht baut.
- Putin mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd: Die Inszenierung von Männlichkeit und Stärke schwingt auch noch nach, wenn sich der russische Diktator aus Angst vor dem Coronavirus in Einsamkeit verkriecht.
- Einzelfallticker: Die AfD listet in einem Einzelfallticker kleinste Verbrechen von Migranten. Massenmorde deutscher Täter blendet sie aus. Bilder krimineller Ausländer bewegen Menschen mehr als Statistiken, die eindeutig belegen, dass heute in Gesamtdeutschland weniger Morde geschehen als allein im Westdeutschland der 1980er Jahre.
Politiker, die sich in Debatten mit Populisten ausschließlich auf Fakten und Diplomatie stützen, bleiben chancenlos. Bleibt dieser Nachteil, ketten wir unser Land an Falschinfos und Inszenierungen. Dann werden wir immer ärmer.
Kennt die Bibel nicht, verkauft aber seine eigene Version: Donald Trump.
Wir können hoffen, dass Selenskyj perfekt auf Trump antwortet – oder es selbst tun
Populisten überzeugen Menschen, weil sie die Wahrheit ihrer Inszenierung beugen. Im Vergleich zu Politikern, die sich an Fakten orientieren, erzählen sie daher bessere Geschichten. Dank Sozialer Medien umgehen sie Journalisten, die ihre Verzerrungen offenbaren. Sie setzen sich durch, wie sich Actionfilme an den Kinokassen immer gegen faktenbasierte Dokumentationen durchsetzen.
Demokratien brauchen eine Antwort. Viele Beobachter fordern wohlmeinende Politiker auf, auch populistischer zu werden: Botschaften in Bilder verpacken. Keine Manipulation, aber Emotionen auslösen.
Stimmt grundsätzlich. Binden wir unsere Demokratie aber an die Hoffnung, wohlmeinende Politiker träffen immer das richtige Mittelmaß zwischen sachlicher Politik und großen Emotionen, zerfällt sie mit dem ersten tapsigen Kanzler. Sollen unsere Enkelkinder in Wohlstand und Sicherheit leben, brauchen wir ein stabileres Fundament.
Populisten wie Trump und die AfD halten wir nur gemeinsam auf
Dieses Fundament kann nur die Gesellschaft schaffe – wir alle. Sie und ich. Auch wir senden jeden Tag Bilder. Wie reden wir? Welche Überzeugungen vertreten wir auch nach außen? Stehen wir selbst für unsere Demokratie ein oder hoffen wir, dass es jemand anderes tut? Derzeit senden Demokraten das Bild, Politik sei Privatsache. Anhänger von Populisten diskutieren und verbreiten große Emotionen. Deswegen überzeugen sie mehr Menschen.
Wollen wir das ändern, müssen wir bei uns anfangen. Sorgen wir dafür, dass die Menschen nach einem Eklat wie im Oval Office über Donald Trump den Kopf schütteln statt über Wolodymyr Selenskyj. Wir müssen diesen Kampf gegen den Populismus nicht allein gewinnen. Aber wir müssen unseren Beitrag leisten.
Wie wir Populismus erkennen und aus der Politik verbannen, erfahren Sie in meinem Buch „Es gewinnen alle oder keiner“.

Artikelbild: Trump und Selenskyj bei ihrem Streitgespräch im Oval Office. Quelle. By The White House – https://x.com/WhiteHouse/status/1896002270468194788, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=160997795