Der russische Überfall auf die Ukraine hat Deutschland, EU und Nato vor einen Konflikt gestellt, wie er künftig häufiger drohen könnte: Ein nicht-demokratisches Land zettelt einen Krieg an, wirtschaftliche Abhängigkeiten hindern die Demokratien aber an effektiven Gegenmaßnahmen.
Um eine Wiederholung dieser Geschichte zu vermeiden, fordern viele, wirtschaftliche Beziehungen zu Autokratien und Diktaturen einzustellen. Das wäre der falsche Weg. Er erhöht die Chance auf weitere Konflikte, in denen wir ohne Sanktionsmöglichkeiten dastehen.
Stattdessen sollten wir den Handel gezielter steuern, um Frieden zu sichern. Abhängigkeiten von Despoten zu vermeiden ist ein sinnvolles Ziel, aber nicht das einzige. Wir müssen vermeiden, reflexartig ins andere Extrem zu fallen. Isolation macht Despoten gefährlicher. Warum, erklärt die Friedensforschung.
Das Problem: Handel für den Frieden oder Abhängigkeiten vermeiden?
Wie Frieden entsteht, ist statistisch gut erforscht: durch Handel, Demokratisierung und Zusammenarbeit in internationalen Gemeinschaften wie EU, UNO und G20. Je demokratischer zwei Länder sind, je mehr Wirtschaftsverbindungen sie zueinander unterhalten und je enger sie in Institutionen zusammenarbeiten, umso unwahrscheinlicher wird ein Krieg zwischen beiden.
Entscheiden die Einwohner zweier Demokratien, ob sie sich durch einen Krieg selbst Tod und Wohlstandsverlust auferlegen, richten diese Länder, das zeigt die Geschichte, nie die Waffen aufeinander. Bestes Beispiel hierfür ist die EU, deren Zusammenarbeit, Handel und demokratischer Ansatz den ständigen Konfliktherd Europa befriedet hat.
So einfach der Ansatz wirkt, er schafft ein Problem: Ob Länder demokratisch sind, können wir von außen kaum beeinflussen. Sie sind es oder sie sind es nicht. Wie verhalten wir uns also gegenüber Diktaturen und Autokratien?
Das Friedensdreieck zeigt: Ist ein Land eine Diktatur, bricht bereits eine von drei Ecken zur Konfliktvermeidung weg – die beidseitige Demokratisierung.
Schließen wir nun aus Unmut über die undemokratischen Zustände in einem Land auch die beiden anderen Ecken aus, fahren wir Handelsverbindungen zurück und stellen die internationale Zusammenarbeit ein, verlieren wir das Dreieck vollständig. Die Konfliktgefahr steigt.
Halten wir aber Wirtschaftsbeziehungen offen und arbeiten wir international weiter miteinander, riskieren wir, dass ein Diktator Wirtschaftsverbindungen als Waffen gegen uns eingesetzt – Stichwort russisches Gas und Öl – sowie internationale Gremien daran hindert, seine Aggressionen einzudämmen – so wie Russland den Weltsicherheitsrat durch sein Veto-Recht davon abhielt, den Angriff auf die Ukraine zu verurteilen.
Im Umgang mit nicht-demokratischen Staaten müssen Demokratien also einen Tod sterben: Entweder sie beschränken die Zusammenarbeit und erhöhen dadurch die Konflikt-Gefahr oder sie binden das Land so gut es geht ein, senken dadurch die Konfliktgefahr und riskieren, dass sie, sollte es doch zum Konflikt kommen, erpressbar und weniger handlungsfähig dastehen.
Eine ideale Lösung gibt es nicht, aber zwei falsche: die beiden Extreme. Wer gar keinen Handel treibt oder Abhängigkeiten zulässt, schafft Probleme.
Die aktuelle Lage: Russisches Öl und Gas haben nicht geholfen – was nun?
Aus Sicht dieses Dilemmas haben Deutschland, die EU und die Nato in den vergangenen Jahren gegenüber Putin längst nicht alles falsch gemacht.
Die meisten Politiker glaubten, wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit dämme Putin ein. Ein kluger Ansatz: Einbinden verhindert in neun von zehn Fällen tatsächlich Konflikte. Im anderen, zehnten Fall trifft dieser Ansatz aber auf einen Herrscher, der sich um keinen Preis einbinden lassen will. Schafft dieser es dann noch, seine Angriffspläne gegen alle innenpolitischen Widerstände durchzusetzen, stehen Einbinder schnell wie Naivlinge da. Leider ist man auch hier immer erst im Nachhinein schlauer.
Trotzdem können wir froh über die wirtschaftlichen Verbindungen nach Russland sein. Ohne sie hätten wir gar keine Druckmittel gegenüber Putin. Völlig umsonst war die Einbindung also nicht. Dennoch bleibt für die Welt die unangenehme Frage: Was nun?
Die Lösung: Handel ja, aber ohne Abhängigkeiten von Diktatoren
Bis Putin den Krieg beendet, sind Aufrüstung und wirtschaftliche Sanktionen die richtigen Lösungen. Handel soll Konflikte vermeiden. Gibt es den Konflikt schon, macht Handel keinen Sinn mehr. Dann stiften Sanktionen und Abschreckungen mehr Frieden.
Für die Zeit nach dem Krieg, vielleicht auch für eine Zeit nach Putin, muss die Welt aber überlegen, wie sie Russland wirtschaftlich und international wieder integrieren kann. Bleibt das Land isoliert, erhöht das nur die Wahrscheinlichkeit auf den nächsten Konflikt.
Gleiches gilt für China. Wer nun denkt, Deutschland müsse sich von allen Ländern international unabhängig machen oder den Handel einstellen, der erhöht die Wahrscheinlichkeit auch mit China in Konflikte zu geraten. Die engen wirtschaftlichen Verbindungen verhindern das bislang trotz völlig verschiedener politischer Systeme.
Das ist die fast unmögliche Gratwanderung, die Politik gehen muss: wirtschaftliche Verbindungen auch zu Nicht-Demokratien aufbauen, ohne Abhängigkeiten zu erzeugen und ohne andere Länder für unsere Zwecke auszunutzen. Weil sich diese Ziele widersprechen, wird die Politik nie alle vollständig erfüllen können. Wir werden immer das eine oder andere Problem haben.
Der Ukraine-Krieg lehrt eine wichtige Lektion, besser mit diesem Zielkonflikt umzugehen. Künftig muss gelten: Engste wirtschaftliche Verflechtungen sind Demokratien vorbehalten. Will ein Land, dass wir ihm vollständig vertrauen, muss es durch seine Staatsform beweisen, dass wir ihm vertrauen können.
Für Autokratien und Diktaturen mahnt der Ukraine-Krieg zur Vorsicht: Handel sichert auch hier den Frieden. Aber er darf nicht in Abhängigkeiten enden, die uns zwingen, Menschenrechtsverletzungen und Angriffe auf die Grundfesten der internationalen Ordnung hinzunehmen.
Dazu reicht es schon, Probleme zu minimieren: Russisches Öl und Gas ja, aber bitte in Grenzen und mit gleichzeitigen Ausweichmöglichkeiten durch andere Energieformen. Das ist möglich, die Bundesrepublik geht bereits erste Schritte und Optionen gibt es von Nuklear bis Solar. Welche wir nutzen, muss die Gesellschaft entscheiden.
Wichtig ist: Wir dürfen unsere Handelsbeziehungen nicht dauerhaft abbrechen. Wir müssen sie so steuern, dass sie den Frieden sichern.
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