Die Welt fragt sich, was Donald Trump will. Dieser gewährt in seinem Propaganda-Netzwerk Truth Social einen ungefilterten Einblick in seinen Kopf. Schauen wir endlich hin.
Als Donald Trump am Freitag Sanktionen gegen Russland androht, durchläuft der Westen die gleiche altbekannte Schleife, die er sich endlich abgewöhnen sollte. Obwohl Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus beschimpft hat, obwohl er die Militärhilfe für die Ukraine eingestellt hat und obwohl er dem Land den Zugang zu Aufklärungsinformationen untersagt hat, hoffen Medien, Politiker und Öffentlichkeit aufgrund einer Andeutung, der US-Präsident handle plötzlich vernünftig.
Nach dem Eklat mit Selenskyj im Oval Office befahl Wladimir Putin massive Angriffe auf die Ukraine. Trump droht im Gegenzug in seinem Propaganda-Netzwerk Truth Social mit Zöllen und Sanktionen „BIS EINE ENDGÜLTIGE EINIGUNG ÜBER DEN FRIEDEN ERZIELT WIRD“. Viele Beobachter jubeln.

Erwartungsgemäß zerschlägt sich der Jubel wenige Stunden später. Bei einem Pressetermin sagt Trump, Putins Angriffe auf die Ukraine, viele davon auf Zivilisten, seien, was jeder in Putins Position tun würde.
Auf Truth Social zeigt Trump, wie er denkt
Solange wir in Trumps Worten Sinn und Vernunft suchen, verstehen wir ihn nie. Wir machen uns falsche Hoffnungen und treffen schlechte Entscheidungen.
Wie Trump wirklich denkt, verraten die Beiträge, die er unmittelbar nach der Sanktionsdrohung auf Truth Social teilt. Sie gewähren einen ungefilterten Einblick in seine Gedankenwelt: Keine Struktur. Keine Lösungsansätze. Keine Suche nach Wahrheit. Null Verständnis von Zusammenhängen. Und erst recht keine Ethik. Dafür Buhlen nach Aufmerksamkeit. Wut, Angriff, Feindbilder.
Sehen wir Trump endlich, wie er ist. Hier ist die Gedankenwelt des US-Präsidenten in den 48 Stunden nach der Sanktionsdrohung:
Mittwoch, 19.07 Uhr: Der erste Angriff auf Trudeau
Was Trump sagt: Trump berichtet von einem Telefonat mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau. Angeblich habe dieser ihn wegen des Zollkriegs angerufen. Keine Einigung. In die Botschaft mischt Trump erfundene Anschuldigungen:
- Angeblich töten „riesige Mengen“ Drogen aus Kanada viele Amerikaner. Berichte der Grenzbehörden widersprechen dieser Aussage.
- Trudeau nutze Trumps Handelskrieg, um Wahlen auszusetzen und länger an der Macht zu bleiben. Dabei hat Trudeau bereits seinen Rückzug aus dem Amt angekündigt. (Update 10. März: Inzwischen steht fest, dass Mark Carney neuer kanadischer Premier wird.)
- Trump: „Er war nicht in der Lage, mir zu sagen, wann die kanadische Wahl stattfindet, was mich neugierig machte. So wie: Was ist das los? Ich habe dann erkannt, dass er das Thema nutzen will, um an der Macht zu bleiben. Viel Glück, Justin!“

Worum es Trump wirklich geht: Wie immer geht es Trump um persönliche Beziehungen und Anerkennung. Trump und Trudeau verbindet eine lange Vorgeschichte, unter anderem:
- Trudeau hat Trumps Zölle als „sehr dumme Sache“ bezeichnet, wie auch die meisten Wirtschaftsexperten.
- Während Trumps erster Amtszeit widersetzte sich Trudeau Trumps berühmtem Quetschen-und-Ziehen-Handschlag. Viele Menschen lachten damals über das Machtgehabe des US-Präsidenten.
- Neben dem attraktiven Trudeau wirkt Trump bei gemeinsamen Auftritten alt.
Trump, der Aufmerksamkeit und Bestätigung sucht, sieht neben Trudeau schlecht aus. Also beschimpft er ihm, um besser dazustehen.
Mittwoch, 19.10 Uhr: „Gouverneur“ Trudeau
Was Trump sagt: Drei Minuten später wiederholt Trump seine Erfindungen. Jetzt bezeichnet er Trudeau als „Gouverneur“. In den USA entspricht der Gouvernuer dem deutschen Ministerpräsidenten eines Bundeslands.
Trump hat bereits mehrfach angekündigt, Kanada zum 51. Bundesstaat der USA zu machen. Weil die Kanadier dies ablehnen, verletzt dieser Vorstoß internationales Recht. Es ist, als würde Frankreich Deutschland als Bundesland beanspruchen.

Worum es wirklich geht: Wäre Kanada ein US-Bundesstaat und Trudeau ein Gouverneuer, wäre Trump sein Chef. Aus seiner Sicht hätte er dann gewonnen. Für diesen Sieg lügt und beleidigt er..
Mittwoch, 22.46 Uhr: Morddrohung gegen alle Bewohner des Gazastreifens
Was Trump sagt: Trump wendet sich an die Hamas und die Bewohner des Gazastreifens, die er gleichsetzt:
- „Ich schicke Israel alles, was es braucht, um den Job zu beenden, kein einziges Hamas-Mitglied wird sicher sein, wenn Sie nicht tun, was ich sage.“
- „Ihr seid verrückt und irre!“
- Trump setzt alle Bewohner des Gaza-Streifens mit der Hamas gleich. Dann droht er ihnen mit dem Tod: „Und an die Menschen in Gaza: Eine schöne Zukunft erwartet euch, aber nicht, wenn ihr Geiseln haltet. Wenn ihr das tut, seid ihr TOT! Treffen Sie eine SMARTE Entscheidung. LASST DIE GEISELN JETZT FREI, ODER ES WIRD SPÄTER DIE HÖLLE LOS SEIN!“
Den Beitrag unterschreibt er mit „DONALD J. TRUMP, PRESIDENT OF THE UNITED STATES OF AMERICA“.
Worum es Trump wirklich geht: Trump will Stärke zeigen, weil seine Anhänger das mögen. Dies tut er in Gaza, während er in der Ukraine russische Kriegsverbrechen schulterzuckend hinnimmt. Die teils in Tunnel hausenden Hamas und die zwischen Trümmern lebenden Bewohner des Gazastreifens können ihm wenig befriedigende Aufmerksamkeit schenken. Anzugtragende Machtmenschen wie Wladimir Putin und der israelische Premier Benjamin Netanjahu schon. Danach richtet er seine Politik.
Donnerstag, 00.27 Uhr: Trump will mehr Applaus
Was Trump sagt: Trump kritisiert das Verhalten der Demokraten während seiner Ansprache vor dem Kongress, weil diese ihm nicht applaudierten.
- „Die Demokraten sollten die Zwischenwahlen verlieren, basierend auf ihrem Verhalten.“
- „Sie hatten nicht mal den Anstand aufzustehen, zu lächeln und zu klatschen.“

Worum es Trump wirklich geht: Trump will bejubelt werden. Er beschimpft jeden, der das nicht tut. Gleichzeitig mag es nicht, wenn andere im Mittelpunkt stehen. Im Jahr 2021 blieb er daher als erster scheidender Präsident der Amtseinführung seines Nachfolgers Joe Biden fern. Wenige Wochen vorher hatte er einen bewaffneten Mob auf den Kongress gehetzt, um die Bestätigung von Bidens Wahlsieg zu verhindern. Damit dieses kindische Verhalten nicht auffällt, versteckt er es hinter erfundenen Attacken.
Donnerstag, 0.31 Uhr: Washington „säubern“
Was Trump sagt: Trump verlangt die Räumung von Obdachlosenlagers in Washington, die ohnehin geräumt werden sollen. Wieder unterschreibt er: DONALD J. TRUMP, PRESIDENT OF THE UNITED STATES OF AMERICA.

Worum es Trump wirklich geht: Wieder mögen seine Anhänger das harte Durchgreifen, wieder sichert er sich Aufmerksamkeit. Wieder erklärt er jemanden zum Gegner: die angeblich unfähige Bürgermeisterin Washingtons.
Donnerstag, 1.20 Uhr: Demokraten blockieren, was sie nicht blockieren können
Das sagt Trump: Trump unterstellt den Demokraten, einen „Government shutdown“ zu provozieren, also einen Stillstand der meisten staatlichen Einrichtungen der USA.

Worum es Trump wirklich geht: Vom Widerstand innerhalb seiner eigenen Partei ablenken. Den USA droht wegen der Schuldenregeln regelmäßig ein Shutdown:
- Erreichen die Staatsschulden des Landes die festgelegte Höchstgrenze, darf der Staat seine Bediensteten nicht weiter bezahlen. Ausnahmen gelten etwa für Polizisten und Feuerwehrleute. Der Rest des Staatsapparats steht still.
- Verhindern können den Stillstand die beiden Kammern des Parlaments: Senat und Repräsentantenhaus. Stimmen beide für eine Anhebung der Schuldengrenze, dürfen die USA mehr Kredite aufnehmen und können ihre Bediensteten wieder bezahlen.
- Oft besitzt die Opposition entweder im Senat oder im Repräsentantenhaus eine Mehrheit. Die Regierung kann die Schuldengrenze also nicht ohne sie anheben.
- Für ihre Zustimmung verlangt die Opposition eine Gegenleistung. Sie bringt Forderungen ein.
- Weil Regierung und Opposition hart verhandeln, beschließen sie die Anhebung der Schuldengrenze oft erst im letzten Moment, manchmal auch erst nach einigen Wochen Shutdown.
- Neu an der Situation ist, dass Trumps Partei, die Republikaner, eine Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus hält. Sie könnte die Schuldengrenze also ohne die Opposition anheben. Trotz Mehrheit könnte dieses Vorhaben aber scheitern. Laut Gerüchten wollen einige Republikaner aus Ärger über Trump gegen sein Gesetz stimmen.
- Passiert das, sähe Trump schlecht aus: Er hat nicht einmal seine Partei hinter sich.
- Um von dieser Blamage abzulenken, schiebt er die Schuld den Demokraten zu. Er behauptet, diese blockierten die Anhebung der Schuldengrenze, obwohl sie dies nicht können.
- Trump braucht nicht tun, als liege ihm viel daran, dass Staatsbedienstete bezahlt werden: Während der Amtszeit Joe Bidens forderte Trump die Republikaner auf, einen Shutdown zu provozieren. Er hoffte, dadurch Gerichtsverfahren gegen ihn zu verzögern. Das hätte nicht funktioniert, weil Polizeibehörenden bei einem Shutdown weiterarbeiten. Das wusste Trump aber offenbar nicht.

Donnerstag, 5.06 Uhr: Wut auf die Medien
Was Trump sagt: Trump behauptet, Medien wie CNN verbreiten Falschinformationen, um einen Keil zwischen ihn und den Obersten Gerichtshof zu treiben. Er bezieht sich auf Berichte, die ihn dafür kritisierten, einen Richter mit „Vielen Dank“ begrüßt zu haben.

Worum es Trump wirklich geht: Der Oberste Gerichtshof der USA kontrolliert, ähnlich dem Bundesverfassungsgericht in Deutschland, die Regierung. Er arbeitet weder für noch gegen Trump. Er arbeitet für die Verfassung. Richter und Politiker pflegen üblicherweise Distanz. Trump bei seinem Dank nicht. Daher erntete er Kritik.
Trump wirkt, als verstehe er diese Zusammenhänge nicht und als interessierten sie ihn auch nicht. Er will, dass alle auf seiner Seite stehen, auch der Oberste Gerichtshof. Die Andeutung, dieser tue das nicht, kränkt ihn. Also schimpft er los.
Donnerstag, 16.09 Uhr: „Schuld ist der müde Joe“
Was Trump sagt: Trump macht Joe Biden für das Handelsdefizit der USA verantwortlich und verspricht, dies zu ändern.

Worum es Trump wirklich geht: Biden hatte Trump bei der Wahl 2020 geschlagen. Darunter leidet dieser bis heute und schimpft bei jeder Gelegenheit auf seinen Vorgänger.
- Die USA verbuchen seit Jahrzehnten ein Handelsdefizit: Als wohlhabendstes Land der Welt führen sie mehr Waren ein, als sie verkaufen. Das lässt sich kaum vermeiden.
- Elektronische Dienstleistungen, die US-Megafirmen wie Google und Facebook anbieten, zählen nicht in die Handelsbilanz. Diese zählt nur physische Waren.
- Die USA haben traditionell ein hohes Handelsbilanzdefizit, weil sie mehr physische Waren importieren als exportieren. Gleichzeitig haben sie aber eine sehr starke Dienstleistungsbilanz, weil sie weltweit führend in Bereichen wie Finanzdienstleistungen, Software, Patenten und digitalen Plattformen sind. Unternehmen wie Apple, Microsoft, Google oder Netflix generieren enorme Einnahmen aus dem Ausland, doch diese tauchen nicht in der Handelsbilanz auf.
- Die USA tauschen also Hightech-Produkte gegen Alltagsgüter wie Toaster und Fernseher. Ihr Handelsbilanz bildet das ab. Viele Länder beneiden sie darum.
- Trump wirkt, als verstehe er auch das nicht. Seine Aussage „Ich werde das ändern!!!“ gleicht einer Drohung: Schluss mit dem Handelsvorteil. Zurück zu Industrieproduktion und Abschottung, wie im 19. Jahrhundert.
Donnerstag, 16.48 Uhr: Und noch einmal Trudeau
Was Trump sagt: Trump unterstellt Trudeau erneut, dieser nutze den Zollstreit, um länger im Amt zu bleiben. „So viel Spaß, ihm dabei zuzusehen!“
Worum es Trump wirklich geht: Er kommt einfach nicht über Trudeau weg.

Trump Schnellkurs: Trump hielt die mit Abstand längste Rede zur Lage der Nation in der Geschichte der USA. Öffnen Sie das Video, klicken sie per Zufall an eine beliebige Stelle der Rede und sagen Sie mir, ob da ein zurechnungsfähiger, sachkundiger Mensch spricht oder die fleischgewordene Kommentarecke aus der dunkelsten Seite des Internets.
Auch das noch: Zum Abschluss Elvis
Wer sich immer noch fragt, wie Trump denkt: Drei Tage nach seinen Hasstiraden teil er dieses Bild bei Truth Social: Eine Fotomontage, die ihn mit Elvis Presley gleichsetzt. Der Präsident der Vereinigten Staaten fischt nach Aufmerksamkeit. Er hätte Wichtigeres zu tun.

Fazit
- Trump, der als US-Präsident viel beschäftigt sein sollte, schreibt regelmäßig lange Angriffe in Sozialen Medien. Er analysiert nicht. Er schlägt keine Lösungen vor. Er versteht keine Zusammenhänge. Er beleidigt und lügt.
- Weil Trump viel postet, rutscht in seine wirren Tiraden ab und an eine Aussage, die mit Wohlwollen als konstruktiver Ansatz gewertet werden könnten. Bevor wir deswegen auf eine Persönlichkeitsänderung hoffen, sollten wir seine anderen Posts bedenken.
- Auch in Deutschland kandidieren Trump wohlgesonnene Politiker, die genauso wenig von Wirtschaft und Politik verstehen und die genauso nach Aufmerksamkeit gieren. Wählen wir sie, richten sie den gleichen Schaden an.
Wie wir Populismus erkennen und aus der Politik verbannen, erfahren Sie in meinem Buch „Es gewinnen alle oder keiner“.

Artikelbild: By The White House – https://www.flickr.com/photos/202101414@N05/54367886673/, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=161233886