Manche Amerikaner halten Donald Trump für ein Genie – gerade weil er so viel Unsinn erzählt. Schuld ist kognitive Dissonanz – ein psychologisches Phänomen, das auch die deutsche Politik beeinflusst.
Während des Wahlkampfes zur US-Präsidenten-Wahl im Jahr 2016 betonte Donald Trump immer wieder ein zentrales Versprechen: Er werde eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen, Mexiko werde dafür bezahlen und die illegale Einwanderung werde dramatisch zurückgehen.
Diese Versprechen waren fragwürdig. Die Mexikaner wiesen die Idee umgehend zurück. Einwanderungs-Experten stimmten überein, dass eine Mauer die illegale Einwanderung nicht entscheidend reduzieren werde. Es kämen ohnehin immer weniger illegale Einwanderer per Fuß über die Grenze: Die Zahl der Verhaftungen an der Grenze USA-Mexiko sank von ihrem Höchststand im Jahr 1999 (ca. 1,65 Millionen) bis ins Jahr 2017 (ca. 300.000) um etwa 80 Prozent. Die Zahl derer, die legal mit einem Visum einreisen, aber nicht mehr gehen, steige dafür. Statistiken gehen davon aus, dass etwa 40 bis 50 Prozent der späteren illegalen Einwanderer zunächst völlig legal in die USA einreisen. Eine Grenzmauer kann dagegen nichts tun.
Trumps Anhänger ließen sich von diesen Argumenten nicht einschüchtern. Manche behaupteten, der Kandidat nutze den Begriff “Mauer” als Metapher und habe gar nicht vor, wirklich einen Grenzwall zu bauen. Andere erklärten alle Probleme als unbedeutend.
“So schlimm das klingt, aber wenn die ihre Drogensäcke drüber werfen und auf der anderen Seite laufen Leute, die sehen sie nicht. Und dann fallen dir 30 Kilo von dem Zeug auf den Kopf. Dann ist es aus. So verrückt das klingt, wir brauchen eine transparente Mauer. Aber wir haben schon tolle Entwürfe.”
Donald Trump erklärt, warum er eine transparente Mauer will. Ein Beispiel für die fragwürdigen Aussagen, die seine Anhänger nicht irritieren.
Kognitive Dissonanz erklärt, warum manche Amerikaner dennoch eine Grenzmauer wollen
Interviews und Umfragen lassen einen klaren Schluss zu: Die meisten Trump-Unterstützer wissen genau, dass eine Grenzmauer zu Mexiko weder möglich noch sinnvoll ist. Doch das unterstützte sie in ihren Glauben an das Genie des Kandidaten, statt sie darin zu schwächen. Dieses Phänomen ist interessant, denn wir finden es auch in Deutschland. Psychologen nennen es kognitive Dissonanz.
Donald Trump profitiert von einem Denkfehler: Kognitiver Dissonanz
Kognitive Dissonanz beschreibt das mulmige Gefühl, das wir bekommen, wenn wir gleichzeitig an zwei widersprüchliche Überzeugen glauben. Wenn wir uns für gute Menschen halten, gerade aber etwas Schlechtes getan haben, fühlen wir uns beispielsweise unwohl. Wir würden gerne zugeben, etwas falsch gemacht zu haben. Das widerspricht aber unserer Grundüberzeugung, uns immer richtig zu verhalten.
Wir könnten das Problem lösen, indem wir uns eingestehen, dass selbst gute Menschen manchmal Schlechtes tun. Auch wir sind eben nicht perfekt. Diese Möglichkeit wäre konstruktiv und hilft, uns weiterzuentwickeln – aber sie ist unangenehm. Wir hängen an unserem positiven Selbstbild.
Deswegen entscheiden wir uns meistens für die zweite Möglichkeit: Wir interpretieren die Situation um. Wir könnten uns selbst einreden, dass unser Handeln nicht wirklich schlecht war, dass wir provoziert wurden oder dass der andere verdient hat, was ihm passierte.
Der gleiche Prozess zeigt sich in vielen Situationen des Alltags: Die meisten Menschen halten sich in jeder Hinsicht für überdurchschnittlich. Um diesen Glauben aufrecht zu erhalten, müssen wir regelmäßig widersprüchlich Informationen uminterpretieren:
- Es gibt ein Problem auf der Arbeit? Der Chef ist schuld! Oder ein Kollege oder die Technik. Auf jeden Fall nicht wir selbst. Das würde unseren Glauben an unsere eigene Überdurchschnittlichkeit erschüttern.
- Wir haben einen Unfall gebaut? Der andere Fahrer ist schuld! Oder der Auto-Hersteller oder die doofen Bauarbeiter, die die Schilder falsch aufgestellt haben. Wir sind schließlich die besten Autofahrer aller Zeiten.
- Wir haben beim Fußball verloren? Der Schiri ist Schuld! Oder unsere Mitspieler. An uns liegt es nur, wenn wir gewinnen – wir sind schließlich die Stars der Mannschaft.
Diese Argumente mögen manchmal wahr sein. Wer ehrlich zu sich selbst ist, muss aber zugeben: Meist sind sie Ausreden.
Was im Alltag funktioniert kann politisch gefährlich werden
Kognitive Dissonanz ist an sich nicht schlimm. Im Alltag ist der Denkfehler sogar wichtig. Unsere Vorfahren brauchten ein klares Bild der Welt, um schnell Entscheidungen treffen zu können. Wer zweifelte, verschenkte Zeit bei der Jagd oder auf der Flucht. Wer wegen einer Abfuhr glaubte, ohnehin zu hässlich zu sein, um einen Partner zu finden, gab seine Gene nicht weiter. Wahrscheinlich rannten genauso viele Menschen voller Überzeugung in Sackgassen oder baggerten sich zu Tode, doch die Evolution kümmert sich nur um die Sieger. Und die profitierten von den unerschütterlichen Überzeugungen, die ihnen kognitive Dissonanz bescherte.
Auch heute tut uns kognitive Dissonanz gut. Wenn wir uns für eine Karriere, einen Partner oder einen neuen Fernseher entscheiden müssen, würden uns die vielen Möglichkeiten zur Verzweiflung treiben. Wer von seinen Eltern die Überzeugung mitbekam, dass Autos von Audi viel besser sind als die von BMW, hat es leichter.
In der Politik kann kognitive Dissonanz zum Problem werden. Treffen wir Wahlentscheidungen auf der Basis von Denkmechanismen, die sich vor tausenden von Jahren entwickelten, als die Menschen in kleinen Gruppen lebten, entstehen unbeabsichtigte Nebenwirkungen, die Wohlstand und Sicherheit gefährden können. Donald Trumps Anhänger liefern dafür ein Muster-Beispiel.
Wie reagieren Trump-Anhänger bei kognitiver Dissonanz?
Trump-Anhänger müssen beim Thema Grenzmauer zwei widersprüchliche Überzeugungen miteinander vereinen. Einerseits glauben sie, dass Donald Trump ein guter Präsident sei. Andererseits befürwortet dieser ein sinnloses Projekt. Beide Überzeugungen widersprechen sich, denn ein guter Präsident würde keine unsinnigen Projekte unterstützen.
Aus diesem Dilemma gibt es für Trump-Anhänger vier Auswege:
- Die ursprüngliche Überzeugung aufgeben: “Vielleicht ist Donald Trump doch kein guter Präsident.”
- Die ursprüngliche Überzeugung beibehalten, indem sie den Widerspruch abändern: “Es ist möglich und sinnvoll über tausende Kilometer eine Grenzmauer zu errichten.”
- Die ursprüngliche Überzeugung rechtfertigen, indem sie weitere Überzeugungen hinzufügen: “Trump ist der beste Verhandler der Welt. Nur er kann ein unmögliches Projekt umsetzen.”
- Die widersprüchliche Überzeugung ignorieren oder entwerten: “Trump will nicht wirklich eine Mauer bauen.” Oder: “Die bösen Medien stellen das völlig falsch dar.” Oder: “Die Experten lügen, weil sie Trump nicht mögen.”
Die Anhänger von Donald Trump reagierten auf jede dieser vier Arten. Manche gaben ihre ursprüngliche Überzeugung auf – aber manche entschieden sich für eine der letzten drei Optionen.
Die letzten drei Optionen funktionieren nur, wenn Trump ein ist – und eine Verschwörung gegen ihn besteht. Um zu erklären, warum ihr bevorzugter Präsidentschaftskandidat Unsinn erzählt, mussten ihn seine Anhänger Genialität zuschreiben. “Niemand kann diese Mauer bauen – außer ihm.” Oder: “Die heutige Zeit hat verlernt, Großes zu tun. Er bringt die goldene Vergangenheit zurück.” Wer Trump kritisierte, wurde zu einer Bedrohung, die den Retter der USA von der Arbeit abhalten wollte und deswegen bekämpft werden musste.
Trumps Anhänger glauben also nicht trotz seiner wirren Aussagen an sein Genie, sondern genau deswegen.
Warum sind Donald Trumps Anhänger so überzeugt von ihm?
Es ist interessant, dass Donald Trumps Anhänger überhaupt kognitive Dissonanz empfinden, wenn es um den Präsidenten geht. Dass Menschen kognitive Dissonant empfinden, wenn sie ihr Selbstbild als gute Menschen schützen wollen, scheint nachvollziehbar. Dieses Bild ist uns sehr wichtig, es steht einiges auf dem Spiel. Aber warum handeln wir oft ähnlich, wenn es um die einen Politiker geht?
Wir passen jeden Tag unzählige Glaubenssätze an oder geben sie auf. Wenn wir meinen, das blaue T-Shirt im Schaufenster stehe uns besser als das rote, der Blick in den Spiegel aber das Gegenteil verrät, lassen wir uns gerne überzeugen. Auch wenn wir in einer Diskussion erfahren, dass ein ehemaliger Fußball-Star jetzt in den USA spielt und nicht in China, wie wir ursprünglich dachten, erfinden wir keine Ausreden, um unsere ursprüngliche Überzeugung zu rechtfertigen. Niemand käme auf die Idee, zu behaupten, China und die USA seien das gleiche Land.
Bei Politikern ist das anders. Der Retter des einfachen Mannes wohnt in einem goldenen Penthouse? Egal. Der Liebling der Evangeliken prahlt über sexuellen Missbrauch? Völlig normal. Uns geht es immer besser, aber wir wollen glauben, dass die Welt immer schlechter wird? Wir finden einen Weg.
Wir werden diese Punkte in gesonderten Artikeln näher beleuchten, aber sie zeigen bereits: Da passt etwas nicht. Da wird etwas passend gemacht. Dieses Phänomen betrifft nicht nur Trump, bei jedem bekannteren Politiker finden wir ähnliche Denkweisen. Sobald wir davon überzeugt sind, den Retter der Politik gefunden zu haben, kann dieser machen, was er will – wir glauben immer mehr an ihn. Dieses Dilemma können wir nur vermeiden, wenn wir aufhören, auf einen Retter zu hoffen.
Fazit
- Das unangenehme Gefühl, zwei gegensätzliche Überzeugungen gleichzeitig zu halten, nennt man kognitive Dissonanz. Von dieser befreit man sich am leichtesten, indem man eine neue Überzeugung erfindet oder die widersprüchliche Überzeugung entwertet.
- Die Anhänger Donald Trumps empfinden kognitive Dissonanz, wenn ihr erhoffter Retter unsinnige Vorschläge macht.
- Aus dieser kognitiven Dissonanz lösen sie sich am leichtesten, wenn sie ihm die Fähigkeit zuschreiben das Unmögliche möglich zu machen und an eine Verschwörung gegen ihn glauben.