Die Medien halten Donald Trump, AfD & Co. den Spiegel vor. Weil denen nicht gefällt, was sie darin sehen, rufen sie: “Lügenpresse”. Der Philosoph Jean-Paul Sartre kann das erklären.
Glaubt man der AfD, liest Angela Merkel jeden Politik-Teil einer deutschen Zeitung Korrektur. Glaubt man Donald Trump, haben sich die Medien der USA gegen ihn, die Bürger und sowieso alle verschworen. Über so viel Irrsinn könnte man lachen – wenn er nicht so ernste Folgen hätte.
Gleich bei seiner ersten Pressekonferenz als neu gewählter Präsident der Vereinigten Staaten machte Donald Trump klar, woher jetzt der Wind weht. Ein Reporter des amerikanischen Nachrichten-Senders CNN wollte Trump eine Frage stellen, doch der verbot ihm den Mund. “Ihre Organisation ist schrecklich. Sie sind Fake-News. Seien sie ruhig.” Diesen Kurs zieht Trump seitdem rigoros durch. Unlängst betitelte er CNN-Reporter Jim Acosta als Feind des Volkes, ließ ihn rauswerfen und entzog ihm die Zutrittsberechtigung für das weiße Haus.
Für eine Demokratie sind diese Vorgänge höchst ungewöhnlich. Acosta ist kein Verrückter, er ist Vertreter eines der größten Nachrichten-Sender der Welt. Der Präsident muss ihm Rede und Antwort stehen – das ist seine Pflicht. Auch George W. Bush, Barack Obama und Bill Clinton stellten sich kritischen Fragen. Hätten sie es nicht getan, der Aufschrei wäre große gewesen.
Bei Trump ist das anders: Dessen Anhänger überschlagen sich vor Freude, wenn er einen der verhassten CNN-Reporter attackiert. Dann erinnert ihre Argumentation an den Freie-Medien-Hass der Nazis und der DDR. Tenor: “Wir haben die einzige Wahrheit. Wer etwas anderes sagt, wird als Volksfeind bekämpft.”
Woher kommt dieser Hass? Und wieso schlägt auch in Deutschland die AfD ähnliche Töne an? Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre kann das erklären.
Fake News und Lügenpresse: Sartre kann den Hass auf die Medien erklären
Sartre liefert den Erklärungsansatz für die Wut auf die angebliche Lügenpresse mit dem Konzept des Anderen. Der Andere kann alles sein, dass uns etwas über uns selbst verrät: ein Mensch, eine Romanfigur, ein Ereignis – oder ein Medienbericht.
Im Umgang mit dem Anderen erkennen wir, wer wir sind. Der Andere spiegelt uns. Er erkennt an uns Dinge, die uns verborgen sind oder die wir ignorieren, und er hilft uns, uns einzuordnen. Wir brauchen diese Anderen unbedingt, um uns selbst zu verstehen.
Ohne den Anderen könnten wir nie wissen, ob wir gute oder schlechte Sportler, Sänger und Mathematiker sind. Wir wüssten nicht, ob wir groß oder klein sind, schlau oder dumm, witzig oder langweilig. Erst durch das Verhältnis zum Anderen erfahren wir, wer wir sind. Gewinnen wir den 100-Meter-Lauf, wissen wir: Wir sind schnell. Kommen wir als letzte ins Ziel, erkennen wir: Wir sind eine Schnecke.
Genau da liegt das Problem. Oft erfahren wir durch den Anderen Dinge, die uns so gar nicht passen. Wir halten uns für irrsinnig komisch, aber niemand lacht über unsere Witze. Wir halten uns für gute Sportler, aber verlieren trotzdem.
Diese Selbst-Erkenntnisse schmerzen. Der Schmerz zwingt uns zum Handeln – wir wollen ihn loswerden. Dazu haben wir zwei Möglichkeiten:
- Wir können einem Kompromiss finden. Widerspricht das Spiegelbild des Anderen unserem Selbstbild, können wir versuchen, diesen Konflikt aufzuheben.
- Wir können uns ändern (“Ich muss bessere Witze lernen.”),
- wir können das Bild des Anderen übernehmen (“Dann bin ich eben nicht so witzig, wie ich dachte.”),
- aktiv einen Kompromiss suchen (“Ich muss den Witz erklären.”) oder
- die beiden Bilder zusammenführen (“Manche Menschen finden mich witzig, manche nicht. So ist das eben.”)
- Wir können die Meinung des Anderen abwerten: Stört uns die Meinung des Anderen, können wir ihm das Recht absprechen, uns zu spiegeln. (“Ihr lacht nur nicht, weil ihr keinen Humor habt.”)
Die vier Methoden unter Punkt eins sind konstruktiv. Um in der Welt zurecht zu kommen, brauchen wir ein gutes Bild von uns selbst, das dem unserer Mitmenschen zumindest nicht grundsätzlich widerspricht. Jede dieser Methoden hilft dabei und hat seinen Platz. Meist verwenden wir eine Kombination aus ihnen.
Leider sind diese Methoden auch schwierig. Alle verlangen von uns, unser Selbstbild zumindest teilweise anzupassen. Weil wir aber an unserem Selbstbild hängen, machen wir das nur ungern – und greifen oft zur zweiten Methode.
Was passiert wenn wir die Meinung des Anderen abwerten?
Entscheiden wir uns die Meinung des Anderen abzuwerten, beginnt das harmlos. Es kann aber böse enden. Nehmen wir ein Beispiel: Wir sitzen beim Abendessen. Zu Gast sind Freunde unseres Partners. Irgendwann kommt das Gespräch auf die nächste Bundestagswahl. Dazu haben wir natürlich eine genau Meinung, hat ja jeder. Wir legen also haarklein dar, warum das Programm unserer Lieblingspartei viel besser ist, als das der anderen Parteien. Unsere Gäste halten das für ausgemachten Unsinn. Sie lieben ein anderes Parteiprogramm und halten das unserer Partei für schrecklich Einfältig.
Solche Situationen eskalieren oft. In unserem Kopf passiert das in drei Stufen:
- Abwertung 1: Der Andere hat nicht alle Informationen. Wir nehmen zunächst an, dass der Andere uns nur widerspricht, weil er sich nicht so gut auskennt, wie wir. Also gehen wir ins Detail und erklären unsere Position. Irgendwann stellen wir ernüchtert fest: Der andere hat alle Informationen.
- Abwertung 2: Der Andere ist dumm. Wer alle Informationen hat, aber nicht die Überlegenheit unserer Weltsicht erkennt, kann nicht der Hellste sein, richtig? Also unterstellen wir dem Anderen, er sei zu dumm, um uns zu verstehen.
- Abwertung 3: Der Andere ist Böse. Hat der andere alle Informationen und ist mindestens genauso schlau wie wir, kann er nur aus einem Grund nicht wollen, was wir als gut und richtig erkennen: Er ist böse. Das Gute ist ihm schlicht egal.
So entsteht Hass. Hass ist der verzweifelte Versuch unliebsames Spiegeln zu vermeiden. Der Hass beraubt den Anderen seines ur-menschlichen Rechts, uns zu spiegeln und nimmt ihm dadurch seine Menschlichkeit.
Im Alltag entstehen so Feindschaften. Das ist schade, aber meist ohne große Konsequenzen: Schlimmstenfalls reden zwei Menschen nicht mehr miteinander. Die Gesellschaft überlebt das.
Anders ist es, wenn sich diese Prozesse im Großen abspielen. Dann verfeinden sich Parteien, dann spalten sich Gesellschaften und dann enstehen Rassismus, Sexismus und Fremdenhass. Kurz gesagt: Radikalisierung ist der politische Versuch, ungewolltes Spiegeln zu vermeiden.
Was sagen Sartres Ideen über Trump, AfD & Co?
Der Medien-Hass von Donald Trump, AfD & Co. ist ein Versuch, ungewolltes Spiegeln zu vermeiden. Destruktive Ideen enstehen oft in abgegrenzten Räumen: In Online-Foren, Blogs und Facebook-Gruppen treffen sich Gleichgesinnte und bestätigen sich gegenseitig ihre Weltsicht. Weil alle Beteiligten die gleiche ideologische Sicht teilen, findet kein Spiegeln statt. Es geht um das Bestätigen der eigenen Meinung.
So begannen Pegida und ein großer Teil der Ideologien, auf denen Trumps Erfolg beruht. Beim Amerikaner kommen noch ultra-rechte Radiosendungen dazu, in denen Verschwörungstheorien gedroschen werden. Gespiegelt wird auch da nicht.
Die spiegel-freie Zone endet außerhalb dieser geschlossenen Kreise. Dann treffen Menschen, die darin ihre Meinung gebildet haben, auf Andere, die sie in einer Weise spiegeln, die sie nicht gewohnt sind. Sie sagen ihnen drei Dinge:
- Alles, woran du glaubst, ist falsch.
- Die Bedrohung, gegen die du kämpfst, gibt es nicht.
- Die Menschen, die du für deine Retter hältst, sind in Wahrheit die Bedrohung.
Diese ungeliebte Spiegelung können die Menschen konstruktiv nutzen und in ihr Weltbild integrieren. (“Die Welt ist scheinbar doch nicht so schwarz und weiß, wie ich dachte.”) Das machen auch viele – aber nicht alle. Die anderen werten den ungeliebten Spiegler ab – und das endet im Hass.
Bei den Medien ist dieser Effekt besonders stark, weil Hass im Gegensatz zum Alltag dort nicht isolierend wirkt. Hasst man eine Person, geht man ihr aus dem Weg und ist das ungewollte Spiegelbild los. Die Bild-Zeitung, die ARD und der Merkur sind dafür zu allgegenwärtig. Spiegeln die Medien die Anhänger von Trump, AfD & Co. über Monate auf ungewollte Weise, steigern sich diese in ihren Hass hinein. Bei manchen entsteht dadurch der Wunsch, die Medien nicht nur mental durch Hass zu zerstören, sondern auch physisch. Das führt zur Gewalt gegen Pressevertreter: Um die davon abzuhalten, uns ungewollt zu spiegeln, muss man sie tatsächlich vernichten.
Wohin dieser Prozess schlimmstenfalls führen kann, hat man in der DDR gesehen. Dort waren die Führer überzeugt, die Ideologie der Zukunft gefunden zu haben. Als die Menschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs massenhaft in den Westen flohen, zog das diese Ansicht in Zweifel – und führte zu ungewolltem Spiegeln. Die DDR-Führung reagierte mit Hass, schrieb den Auswanderern allerhand negative Eigenschaften zu und schreckte am Ende auch nicht davor zurück, auf sie zu schießen.
Auch die Abschottung der DDR-Führung in der Waldsiedlung in Bernau bei Berlin sollte ungewolltes Spiegeln vermeiden. Der enge Kontakt mit der Bevölkerung hätte deren wahre Lebensumstände entlarvt und zu ungewolltem Spiegeln geführt. Also wurde er vermieden.
Die Ähnlichkeiten zwischen DDR, AfD, Trump und Nazis sind kein Zufall: Alle glaubten, die einzig richtige Wahrheit gefunden zu haben. Wer an ein derart überhöhtes Weltbild glaubt, wird ständig ungewollt gespiegelt – nämlich immer dann, wenn das angeblich perfekte Weltbild doch an seine Grenzen stößt. Jeder Hinweis auf diese Grenzen führt zu Hass. Der einzige Ausweg ist Toleranz und die Offenheit, Fehler im eigenen Weltbild einzuräumen. Doch dafür ist bei Trump, AfD & Co. kein Platz.
Fazit
- Hass entsteht, wenn wir ungewollte Spiegelbilder vermeiden wollen. Medien-Hass ensteht, wenn sich Menschen in abgegrenzten Gruppen glauben, die eine richtige Wahrheit gefunden zu haben, dann aber in den Medien etwas anderes lesen.
- Wer sein Weltbild in den Medien nicht bestätigt findet, kann diesen Unterschied nicht auf mangelnde Informationen oder Dummheit des Anderen schieben. Also muss er die Presse als böse abstempeln und beginnt, sie zu hassen.
- Wer die freien Medien hasst, hasst generell Andersdenkende. Der Hass auf freie Medien ist also immer ein Zeichen eines zu engstirnigen Weltbildes.